Christentum und Marxismus – zwei Wege und ein Ziel?

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Eine Privataudienz, zu der Papst Franziskus im September 2014 den damaligen griechischen Oppositionsführer und heutigen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras, Walter Baier von transform-europe und Franz Kronreif von der katholischen Fokolarbewegung eingeladen hatte, bildete den Startschuss für die Intensivierung des Dialogs zwischen ChristInnen und MarxistInnen. In der Evangelischen Akademie Wien gibt es seit mehr als 10 Jahren einen christlich-marxistischen Arbeitskreis – die ersten Dialogbemühungen gehen auf die 1960er Jahre zurück.

DIALOP – Fruchtbringender Dialog zwischen ChristInnen und MarxistInnen

Von 1.- 8. September 2018 fand in Ermoupolis auf der ägäischen Insel Syros unter dem Titel „Europa – ein gemeinsames Gut“ eine Sommerschule an der Universität der Ägäis als Auftakt des Erasmus-plus-Projektes DIALOP statt. 35 Studierende und 12 Vortragende aus 19 europäischen und außer-europäischen Ländern erprobten eine Woche lang einen verbindenden Dialog zwischen VertreterInnen christlicher und marxistischer Werte. Das gemeinsame Ziel von DIALOP ist es, Wege für ein soziales, gerechtes, friedliches, ökologisch nachhaltiges, demokratisches und offenes Europa aufzuzeigen.

Einander zuhören und zu verstehen versuchen

Während Diskussionen häufig abgehalten werden, um eigene Ansichten durchzusetzen und das Gegenüber zu überzeugen, ist es die Methodik von DIALOP, dass die DialogpartnerInnen einander zuhören und zu verstehen versuchen, mit dem Ziel, voneinander zu lernen, um gemeinsame Auffassungen zu erkennen und weiter zu entwickeln. Die Methode des Dialogs stand am ersten Tag im Mittelpunkt und wurde als Synergie unterschiedlicher Gedanken während der ganzen Woche geübt. Die TeilnehmerInnen der Sommerschule waren sich sehr bald einig, dass sie sich an einem kritischen Moment der europäischen Geschichte befinden, wo Zäune und Ungleichheit an Bedeutung gewinnen, während Solidarität verhöhnt wird. Dagegen wurde „Gutes Leben für alle“ als das verbindende Ziel erkannt.

Vier Hauptthemen

Gleich am ersten Tag fand auch ein Treffen mit Entscheidungsträgern griechischer Institutionen, der Kongregation für katholische Erziehung, transform-europe und linker Politiker mit den Studierenden statt, an der auch die Vertreter der röm.-kath.Kirche und der griech.-orthodoxen Kirche auf Syros teilnahmen. Jeder Tag wurde einem Thema gewidmet, das von einer/m ReferentIn einer christlichen Organisation und einer/m marxistischer Anschauung präsentiert wurde:

  • Dialog in einer pluralistischen Welt,
  • Universale Bestimmung der Güter und Privateigentum – Commons,
  • Demokratie und Partizipation,
  • Europäische Herausforderungen und Verantwortung in der Globalisierung.

Dazu wurden parallelen Arbeitsgruppen folgende Aufgaben gestellt:

  1. Arbeitsweisen politischer Parteien wurden theatralisch dargestellt anhand einer Parteisitzung nach einer verlorenen Wahl einer linken Partei, wobei die Analyse ergab, dass es an Empathie für die WählerInnen mangelte.
  2. Migration und Integration wurde an einem Beispiel einer Kleinstadt mit 300 Geflüchteten beschrieben, die von einer kleinen Gruppe engagierter Personen zur Zusammenarbeit angeleitet wurden, indem sie die Fähigkeiten der Geflüchteten erhoben und für eine integratives Zusammenleben nutzten.
  3. Die Enzyklika „Laudatio Si“ diente dazu, die Kritik am Kapitalismus durch den Papst mit der der Marxisten zu vergleichen. Als Beispiel für zivilen Ungehorsam wurden die gemeinsamen Proteste gegen die Braunkohlengruben in Deutschland und in Tschechien angeführt. Zu einer Meditation über die Mutter Erde wurde eingeladen.
  4. Gesellschaftliche Szenarien wurden betrachtet und wie in diesen der Dialog fortgesetzt werden kann:
    a) eine solidarische Welt mit institutioneller Förderung der Dialogs;
    b) eine soldarische Welt, aber ohne institutioneller Unterstützung für Dialog;
    c) eine unsolidarische Gesellschaft ohne Mittel gegenzusteuern;
    d) eine neoliberal, egoistische Gesellschaft, aber mit Mitteln für Widerstandsgruppen.
  5. Ein Manifest für Europa wurde formuliert: Das „Manifest von Ermoupolis“ an die BewohnerInnen Europas, dem alle TeilnehmerInnen der Sommerschule zustimmten, ruft zu gemeinsamen Anstrengungen zur Erfüllung der folgenden Forderungen auf:
  • Stopp der Waffenproduktion und des Waffenhandels mit Konfliktgruppen
  • Stopp dem Klimawandel und strikte Umsetzung des Pariser Abkommens
  • Stopp den unfairen Handelsabkommen der EU
  • Stopp der modernen Sklaverei
  • Anerkennung der Geschlechtergleichheit – Stopp aller Arten von Misshandlungen und Gewaltanwendungen gegen Frauen

Vernetzung

Die Zusammenarbeit zwischen christlichen Gruppen, die sich empathisch den sozialen Problemen widmen, und den marxistischen Akteuren, die die zugrundeliegenden, strukturellen Bedingungen in der Gesellschaft analysieren, können eine Synergie zur Transformation der Gesellschaft hervorbringen. Die TeilnehmerInnen beschlossen, ein Netzwerk der Kommunikation zu bilden, das sich über die Aktivitäten der einzelnen Gruppen informiert, um voneinander zu lernen und um ein gutes Leben für alle zu erzielen.

Der Dialog war eine gemeinsame Initiative von Universitäten, Stiftungen und Vereinigungen mit marxistischer und mit christlicher Basis. Die Sommerschule wurde ausgerichtet vom Universitätsinstitut Sophia (IT), der Pontifikalkongregation für katholische Bildung, der katholischen Fokolarbewegung und Transform!Europe (der Bildungseinrichtung der Partei der Europäischen Linken). Sie wurde unterstützt von der deutschen Rosa Luxemburg Stiftung, der Universität Paris 8 und der Kirchlichen Pädagogischen Hochschule-Edith Stein (Österreich).

Christlich-marxistischer Arbeitskreis

Seit mehr als 10 Jahren wird im Rahmen des christlich-marxistischen Arbeitskreises, der im Albert-Schweitzer-Haus der Evangelischen Kirche in der Evangelischen Akademie stattfindet, der Dialog zwischen Menschen unterschiedlicher Weltanschauung erprobt und geübt. Der Arbeitskreis setzt Versuche fort, die bereits in den 1960er Jahren begonnen haben. Prominente Vertreter dieses Dialogs waren etwa der evangelisch-lutherische Theologe Johannes Dantine und der Historiker Ulrich Trinks, beide langjährige Leiter der Evangelischen Akademie Wien, der Wiener Philosoph Walter Hollitscher, Mitglied des Zentralkomitees der KPÖ, und der Theologe Rudolf Weiler, Professor für Sozialethik an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Wien. Damals war allein schon die Vorstellung einer Annäherung zwischen Christen und Marxisten für viele ein Sakrileg, und das nicht nur von christlicher Seite. Mit dem Ende des Realsozialismus, der für manche Katholiken als Inbegriff des Bösen angesehen und von einzelnen katholischen Gruppen durch Gebet und Spenden bekämpft worden war, entspannten sich die Voraussetzungen für den Dialog. Auch die Theologie der Befreiung erhielt in den letzten Jahrzehnten in kirchlichen und linken Kreisen verstärkte Anerkennung.

Auf dem Weg zu einem besseren Leben

Der christlich-marxistische Arbeitskreis ist offen für TeilnehmerInnen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen. Er will weniger hochtheologische und philosophische Auseinandersetzungen führen, sondern versucht auszuloten, wie die auf weite Strecken gemeinsamen Vorstellungen von einer besseren Welt entwickelt und Praxis werden könnten. Zunächst wurden Kerntexte christlicher oder linker Provenienz gemeinsam gelesen und diskutiert. TheologInnen und MarxistInnen brachten ihre Einsichten in den Diskurs ein. Im Lauf der Jahre beschäftigte sich der Arbeitskreis stärker mit politischen und ökonomischen Fragen unserer Zeit. Immer wieder wurden und werden VertreterInnen von Initiativen für ein besseres Leben in Österreich eingeladen, die über ihre Arbeit sprachen und ihre Ergebnisse zur Diskussion stellten. Wiederholt befasste sich der Arbeitskreis mit dem Für und Wider zu einem bedingungslosen Grundeinkommen und Ansätzen zu seiner Verwirklichung. Große Aufmerksamkeit fanden das Handschreiben Evangelii Gaudium und die Umweltenzyklika Laudato si von Papst Franziskus, der in deutlichen Worten die Verzerrungen unserer Gesellschaft in Bezug auf Menschlichkeit, Umwelt, Gesundheit und Soziales aufzeigt. Trotz unterschiedlicher theoretischer Grundlagen führen die Formulierungen aus dem Kommunisten Manifest und den Texten von Papst Franziskus zu ähnlichen konkreten Schlussfolgerungen. Viele Mitglieder des Arbeitskreises beteiligten sich an den Diskussionsprozessen zum „Sozialwort“ und Sozialwort+“, zu dem der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich eingeladen hatte. Viel bleibt in diesem Dialog noch zu tun, und der Arbeiter sind wenige.

Übrigens: Am Montag, den 22. Oktober, 19 Uhr wird der deutsche Philosoph Alfred Kosing im Rahmen des christlich-marxistischen Arbeitskreises der Evangelischen Akademie einen Vortrag über „Christentum und Marxismus: Zwei Wege – ein Ziel“ halten.
Ort: Schwarzspanierstraße 13 (2. Stock), 1090 Wien.

Autoren

Peter Degischer

Peter Degischer
Vorstandsmitglied von transform!at, seit der Emeritierung als o. Univ.-Prof. (TU Wien) im Jahr 2011 Mitarbeit in verschiedenen zivilgesellschaftlichen Gruppen, u.a. SeniorInnen-Attac, Netzwerk Soziale Verantwortung, asylkoordination, Agenda-Wieden.

 

Peter Fleissner

Peter Fleissner
Sozialkybernetiker und emeritierter o.Univ.-Prof. (TU Wien), Mitgründer von transform!at