Ein Meilenstein für den Menschenrechtsschutz

menschenrechte_Illustration-sandra-at

Frankreich verpflichtet Unternehmen zur menschenrechtlichen Sorgfalt

Frankreich hat ein Gesetz zur menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen verabschiedet. Damit werden zum ersten Mal menschenrechtliche Sorgfaltspflichten von Unternehmen umfassend in verbindliches nationales Recht umgesetzt. Doch auch in anderen Ländern gibt es vorsichtige Ansätze, Unternehmen stärker für die negativen Auswirkungen ihrer globalen Geschäfte in die Verantwortung zu nehmen.

Am 23. März 2017 bestätigte der französische Verfassungsrat in weiten Teilen das kürzlich vom Parlament verabschiedete französische Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht von Unternehmen und es wird in Kürze in Kraft treten. Das Gesetz soll große französische Unternehmen dazu verpflichten, menschenrechtliche Risiken zu identifizieren und abzuwenden – nicht nur im eigenen Unternehmen, sondern auch in Tochterunternehmen und entlang der Lieferkette. Frankreich setzt damit einen wichtigen Meilenstein für den Menschenrechtsschutz. Zum ersten Mal weltweit werden menschenrechtliche Sorgfaltspflichten umfassend in verbindliches nationales Recht verankert.

Verpflichtende Sorgfaltspläne

Etwa 120 große französische Unternehmen, darunter Danone, Renault und Total, müssen einen Sorgfaltsplan veröffentlichen und umsetzen, mit dem sie ökologische und menschenrechtliche Risiken identifizieren und verhindern. Erfasst sind neben den Risiken im Unternehmen selbst auch die Risiken bei kontrollierten Tochterunternehmen und Unternehmen, mit denen eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht, soweit die menschenrechtlichen Probleme mit der Geschäftsbeziehung zusammenhängen. Der Inhalt des Sorgfaltsplans wird im französischen Gesetz weiter konkretisiert und soll folgende Elemente umfassen:

  • Übersicht, in der Risiken identifiziert, analysiert und priorisiert werden
  • Verfahren zur regelmäßigen Überprüfung von Tochter- und Subunternehmen, sowie Zulieferern
  • Angemessene Gegenmaßnahmen zur Vermeidung und Milderung von Menschenrechtsver-letzungen
  • Ein Warnsystem, um Beschwerden entgegenzunehmen, das in Zusammenarbeit mit Gewerk-schaften in den jeweiligen Unternehmen entwickelt wird
  • Ein Verfahren, um die Umsetzung und Effektivität der getroffenen Maßnahmen zu überprüfen

Die Unternehmen müssen den Sorgfaltsplan und die Schritte veröffentlichen, die zur Umsetzung unternommen wurden. Kommt ein Unternehmen den oben beschriebenen Pflichten nicht nach, können zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften, Betroffene  oder andere Personen mit berechtigtem Interesse beim zuständigen Gericht beantragen, das Unternehmen zur Erfüllung der gesetzlichen Sorgfalt aufzufordern. Die Verletzung der beschriebenen Sorgfaltspflichten kann unter gewissen Umständen auch zur Haftung gegenüber Betroffenen führen. Klagen Betroffene, z.B. aufgrund von Gesundheitsverletzungen durch Umweltverschmutzungen oder wegen eines Fabrikunfalls, muss das Gericht prüfen, ob das Unternehmen alle angemessenen Sorgfaltsverfahren im Sinne des neuen Gesetzes durchgeführt hat. Ist dies nicht der Fall und ist dadurch der Schaden entstanden, haftet das Unternehmen gegenüber Betroffenen. Lediglich die zuvor vorgesehenen Bußgelder hat der Verfassungsrat für verfassungswidrig erklärt. Zur Begründung führte das Verfassungsgericht aus, dass Bußgeldtatbestände einem hohen Maß an Bestimmtheit genügen müssen und die im Gesetz enthaltenen Unternehmenspflichten diesen Bestimmtheitsanforderungen nicht genügen.

Tochterunternehmen und Zulieferer

Mit dem französischen Gesetz sollen Katastrophen wie Rana Plaza verhindert werden, wo mehr als tausend Arbeiter*innen in Bangladesch bei einem Fabrikeinsturz ums Leben kamen. Zukünftig müssen große französische Unternehmen überprüfen, ob Tochterunternehmen und Zulieferer die elementaren Arbeitsrechte einhalten und entsprechenden Risiken aktiv gegenwirken, durch vertragliche Vereinbarungen, Kontrollen und Beschwerdemöglichkeiten für Betroffene.

Frankreich setzt mit dem Gesetz  die internationalen Leitprinzipien der Vereinten Nationen zu Wirtschaft und Menschenrechten um. Die Leitprinzipien sind 2011 einstimmig im Menschenrechtsrat angenommen worden und enthalten Empfehlungen an Regierungen und Unternehmen. Kernstück der Leitprinzipien ist die menschenrechtliche Sorgfaltsplicht von Unternehmen, wonach Unternehmen die menschenrechtlichen Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit identifizieren, negativen Auswirkungen vorbeugen und eingetretene Schäden beheben und wiedergutmachen sollen. Zur Umsetzung der Leitprinzipien sollen die nationalen Regierungen Aktionspläne entwickeln. Obwohl sowohl die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen, sowie die EU-Kommission für die Aktionspläne einen intelligenten Mix aus verbindlichen und freiwilligen Maßnahmen empfehlen, beschränken sich die bisherigen zehn Aktionspläne europäischer Regierungen weitestgehend auf freiwillige Unterstützungsangebote. Wie wenig Wirkung diese unverbindlichen Ansätze entfalten, zeigen nicht nur die zahlreichen Berichte von Arbeits- und Menschenrechtsverletzungen in globalen Wertschöpfungsketten, auch zahlreiche Studien belegen, dass Unternehmen ihre Geschäftspraxis erst dann ändern, wenn finanzielle Anreize oder gesetzliche Vorgaben existieren.

Trotz enttäuschender Aktionspläne in manchen Ländern, stehen die Franzosen mit ihrem regulativen Ansatz aber nicht ganz alleine da, auch in anderen Ländern und bei der EU sind vorsichtige Schritte in Richtung verbindliche Unternehmensverantwortung zu beobachten. Vor allem im Bereich Transparenz und Berichtspflichten hat sich in den letzten Jahren einiges entwickelt.

Schritte auch in anderen Ländern

Die EU hat 2014 die sogenannte CSR-Richtlinie verabschiedet, wonach große Unternehmen künftig auch über soziale und ökologische Risiken ihrer Geschäftstätigkeit berichten müssen, in einigen Ländern ist die Richtlinie bereits in nationales Recht überführt.  Vor wenigen Tagen hat das EU-Parlament zudem eine Verordnung verabschiedet, wonach Importeure von Gold, Tantal, Wolfram und Zinn künftig prüfen und offenlegen müssen, dass sie keine bewaffneten Konflikte finanzieren. Eine ähnliche Regelung besteht in den USA mit dem Dodd Frank Act schon seit 2011. Dieser geht sogar noch etwas weiter und verpflichtet auch die weiterverarbeitende Industrie, also z.B. die Handyhersteller dazu, die Herkunft der sogenannten Konfliktmineralien offenzulegen.

In Großbritannien wurde 2015 der Modern Slavery Act beschlossen. Das Gesetz richtet sich gegen moderne Formen der Sklaverei und verpflichtet große Unternehmen dazu, über diesbezügliche Risiken in ihrem Unternehmen sowie in der Lieferkette zu berichten und darzulegen, welche Schritte sie ergriffen haben, um diese Risiken zu bewerten und zu handhaben. Ein ähnliches  Gesetz gibt es in Kalifornien bereits seit einigen Jahren. Auch in den Niederlanden will man zunächst die schlimmsten Formen der Arbeitsausbeutung angehen. Eine aktuelle Gesetzesinitiative verpflichtet Unternehmen, Kinderarbeit in ihren Lieferketten zu identifizieren und dagegen Maßnahmen zu ergreifen. Die identifizierten Risiken und Gegenmaßnahmen sollen sie dokumentieren. Vorgesehen ist auch ein Beschwerdemechanismus: Wer Anhaltspunkte dafür hat, dass ein Unternehmen nicht ausreichend etwas gegen Kinderarbeit in seiner Lieferkette unternimmt, muss sich zunächst beim Unternehmen beschweren. Führt dies nicht zur Abhilfe, muss sich die zuständige Behörde damit beschäftigen und kann nach einer verstrichenen Abhilfefrist auch ein Bußgeld verhängen. Der Gesetzesvorschlag ist bereits im Parlament verabschiedet worden und muss nun vom Senat angenommen werden. Das Gesetz gewährt großzügige Übergangsfristen und tritt erst 2020 in Kraft.

Schweiz und Österreich

In anderen Ländern stecken entsprechende Gesetzesinitiativen noch in den Kinderschuhen. In der  Schweiz hat eine große Koalition aus Gewerkschaften, Menschenrechts- Umwelt- und Entwicklungsorganisationen einen Volksentscheid über menschenrechtliche Sorgfaltspflichten für Schweizer Unternehmen eingeleitet. In Deutschland sieht der Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte vor, dass bis 2020 50 % der Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen menschenrechtliche Sorgfaltsverfahren umsetzen sollen. Dies soll jährlich stichprobenhaft überprüft werden,  bei Verfehlen der Quote will die Bundesregierung 2020 gesetzliche Maßnahmen prüfen. Brot für die Welt hat gemeinsam mit anderen Organisationen 2016 ein Gutachten veröffentlicht, indem beschrieben ist, wie ein deutsches Gesetz zur menschenrechtlichen Sorgfalt von Unternehmen aussehen könnte. Auch für Österreich existiert ein ähnliches Rechtsgutachten, welches das Netzwerk Soziale Verantwortung (NeSoVe) beim European Center for Constitutional and Human Rights in Auftrag gegeben hat. Die Regierung Österreichs hat bislang jedoch noch keinen nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte entwickelt oder gesetzliche Initiativen auf den Weg gebracht.

Um dem französischen Vorstoß Rückenwind zu geben und letztlich zu einer europäischen Harmonisierung zu kommen, braucht es jedoch dringend weitere Gesetze zur menschenrechtlichen Unternehmensverantwortung in den EU-Mitgliedsstaaten. Die französischen Unternehmen klagen bereits jetzt über die Wettbewerbsnachteile und der französische Verfassungsrat muss jetzt darüber entscheiden, ob der gesetzgeberische Eingriff in die unternehmerische Freiheit verfassungsgemäß ist oder französische Unternehmen im europäischen Vergleich über Gebühr belastet. Aus Sicht von Umwelt-, Verbraucher-, Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften ist die Rückkehr zu freiwilliger Unternehmensverantwortung keine akzeptable Alternative. Die verstärkten Forderungen nach gesetzlichen Vorgaben, aber auch der Protest gegen TTIP und CETA zeigen deutlich, dass der Druck auf die Regierungen wächst,  Menschenrechten Vorrang vor Unternehmensinteressen zu geben.

Autorin:

Sarah Lincoln
S. Lincoln

Sarah Lincoln
ist Juristin und arbeitet als Menschenrechtreferentin bei Brot für die Welt schwerpunktmäßig zum Thema Wirtschaft und Menschenrechte.

Weiterführende Informationen:

Zum französischen Gesetz, dem Gesetzesvorschlag in Deutschland und dem deutschen Aktionsplan

Gutachten zum österreichischen Recht

Zum niederländischen Gesetz

Broschüren des Netzwerks Soziale Verantwortung (NeSoVe)

Menschenrechte ohne Grenzen

UN- Leitsätze für Wirtschaft und Menschenrechte – Empfehlungen für die Umsetzung in Österreich

#sozialeverantwortung #menschenrechte #menschenrechtlichesorgfaltspflichten #konzernmacht #politik #guidingprinciples #lieferkette #textilindustrie #ranaplaza #menschengerechteswirtschaften