Was länger braucht, kann lange währen.

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Partizipative Entscheidung – ganzheitliche Arbeit mit Varianten

Partizipative Entscheidungsprozesse dauern länger. Durch die ehrliche Einbeziehung der Betroffenen erhöht sich aber die Verbindlichkeit gegenüber den getroffenen Entscheidungen. Die Umsetzung läuft leichter von der Hand, weil die Zufriedenheit mit den Ergebnissen höher ist.

Erhöhte Zufriedenheit

MitarbeiterInnen arbeiten effektiver und zufriedener, wenn sie in – auch schwierige – Entscheidungen eingebunden worden sind, wenn angemessen Raum und Zeit für die Klärung von Fragen, Unsicherheiten und das Abwägen von alternativen Lösungswegen gegeben wird. Die Zufriedenheit mit den gemeinsam erarbeiteten Ergebnissen ist bei allen Beteiligten höher, weil – unter ehrlich kommunizierten Prozessbedingungen – sowohl das Vertrauen untereinander gestärkt, wie auch die Effektivität in der Umsetzung gesteigert wird. Wichtig ist dabei, nicht nur die lauten und drängendsten Stimmen unter den Beteiligten zu hören, sondern gerade auch den jüngeren, den unerfahreneren, den ruhigeren und auch den weniger beliebten MitarbeiterInnen angemessen Möglichkeit zu geben, ihren Blick auf die Fragestellung, ihre Sicht der Dinge und ihre – vielleicht queren – Vorschläge einzubringen. Das kann ungewöhnliche und auch ungeahnte Möglichkeiten eröffnen.

Führungskräfte stecken den Rahmen ab

Zentrale Aufgabe der Führungskräfte ist, Orientierung zu geben über die Rahmenbedingungen eines Entscheidungsprozesses und über das Ziel, auf das hin eine Entscheidung zu treffen ist. Transparenz und klare Kommunikation sind dabei wesentliche Schritte, um den MitarbeiterInnen informierte Beteiligung zu ermöglichen. Nicht immer müssen alle MitarbeiterInnen alles wissen, um zufriedenstellende Beteiligung zu ermöglichen. Nötig ist aber immer, von vorneherein Transparenz darüber zu halten, wer wann wie und mit welchen Kompetenzen in den Entscheidungsprozess eingebunden werden soll. Ehrlichkeit über den geplanten Entscheidungsprozess ist nötig, damit die MitarbeiterInnen wissen, was wann wie von ihnen erwartet wird und wie hoch wann der Grad ihrer Partizipation sein soll. Es gibt nichts Enttäuschenderes, als wenn MitarbeiterInnen unter dem Versprechen eines beteiligungsorientierten Prozesses ihr Bestes geben, um eine für die Organisation gute Entscheidung treffen zu können, dann aber erst erfahren, dass ihre Partizipation auf diese Zuarbeit reduziert bleibt. Sollte z.B. die Letztentscheidung über den zu wählenden Lösungsansatz den Führungskräften vorbehalten bleiben, muss das allen von Anfang an klar sein.

Auf sich und andere hören, Gefühle spüren, Stille einfügen

Die hier vorgestellte Möglichkeit partizipativer Entscheidung entspricht einem ganzheitlichen Zugang. Neben dem offenen Blick auf Daten, Fakten und Rahmenbedingungen werden in den Entscheidungsprozess auch Gefühle und – man wundere sich – die Stille einbezogen. Aber alles der Reihe nach.

Die Haltung des Hörens – auch auf stille oder unerfahrene Beteiligte – wurde schon erwähnt. Um zu Wort zu kommen, ist es Aufgabe der Führungskräfte, eine Atmosphäre des Zuhörens zu ermöglichen – wo auch Ungewöhnliches, Unfertiges und auch Gefühle geäußert werden können, ohne sofort kommentiert oder beurteilt zu werden. Auf andere zu hören fällt jenen leichter, die geübt sind, auf sich selbst zu hören.

Gefühle bestimmen den gemeinsamen Entscheidungsprozess immer mit. Zu oft werden sie jedoch ignoriert, verdrängt oder machen sich unkontrolliert bemerkbar. Sich der eigenen Gefühle bewusst zu sein und diese auch aktiv einzubinden, stärkt den Gruppenprozess. Wenn Gefühle aller Beteiligten einbezogen werden, sind entscheidungsorientierende Fragen relevant wie: Was macht mir Bauchweh? Bei welchem Lösungsansatz spüre ich einen Knoten in der Brust? Wo zieht es mich hin, wo fließt die meiste positive Energie?

Phasen der Stille sind in Zeiten der Beschleunigung aller Lebensbereiche v.a. auch bei Entscheidungen wichtig. In der Stille, in der auch der Bauch sprechen kann, in der auf das Herz gehört werden kann, können sich Argumente, Gefühle und Zusammenhänge neu ordnen.  Bei gemeinsam – wie auch bei einsam – getroffenen Entscheidungen ist es sehr hilfreich, nach der Darstellung und Abwägung möglicher Lösungswege eine Phase der Stille einzubauen. Führungskräften kommt dabei die besondere Herausforderung zu, Zeit für diese Zeit des „Nichts-Tuns“ zu schaffen und zu schützen.

Phasen partizipativer Entscheidungsprozesse

Der ignatianisch (von Ignatius von Loyola, dem Gründervaters des Ordens der Jesuiten) inspirierte und in ksoe-Zusammenhängen angewandte partizipative Entscheidungsprozess baut wesentlich auf der Arbeit mit Varianten auf. Da der Kontext, in dem eine Entscheidung zu finden ist, selten schwarz-weiß „gestrickt“ ist, ist es hilfreich, auch mehrere Lösungswege zu denken. Der Blick auf das Ziel, verschiedene Varianten zu entwickeln, hilft, aus der oft lähmenden Entweder-Oder-Dynamik auszubrechen. Entscheidung verändert sich dann zur Wahl. Die durch (externe) Moderation begleitete Arbeit an Varianten, das Sichtbarmachen ihrer jeweiligen Chancen und Risiken sowie der schon erwähnte ganzheitliche Blick darauf erleichtert es oft, die beste unter all den guten Varianten zu wählen. Neben dem Abwägen von Daten und Fakten soll – im sozialethischen Horizont – auch die Frage nach einer menschenfreundlichen und umweltgerechten Zukunft leitend sein. Die gewählte Variante darf abschließend in einem knackigen Satz zusammengefasst werden.

Entschiedenheit nach der Entscheidung

Haben sich die MitarbeiterInnen gemeinsam mit den Führungskräften – in der je möglichen Abstufung der Intensität von Partizipation – für die bessere unter mehreren guten Lösungsvarianten entschieden, ist es wichtig, diese Entscheidung mit Entschiedenheit umzusetzen. Je höher der Grad der Beteiligung der MitarbeiterInnen war, umso verbindlicher wird das Prozessergebnis für alle wahrgenommen. Klarheit und Sicherheit in der Kommunikation verweisen auf die Entschiedenheit, mit der die Umsetzung durchgeführt wird. Diese gewonnene Klarheit über die beste gefundene Variante und ihre entschlossene Umsetzung darf auch gefeiert werden!

Demokratiepolitische Relevanz

Partizipative Entscheidungsprozesse müssen geübt werden. Die einsame Entscheidung einer heroischen Führungsperson ist vordergründig leichter und schneller – und in Krisenzeiten wahrscheinlich manchmal not-wendig. Gemeinsam getroffene Entscheidungen, die durch einen ganzheitlichen Prozess des Abwägens und Einbeziehens unterschiedlicher Blickwinkel und Zugänge erwachsen sind, stärken den sozialen Zusammenhang und die Solidarität. Die Wirkung partizipativer Entscheidungen auf das inner- wie das außerbetriebliche Umfeld ist nicht zu unterschätzen: Zufriedene MitarbeiterInnen sind angenehmere LebensgefährtInnen als frustrierte. Die Haltung des Hörens ist auch bei Nachbarschaftskonflikten hilfreich. Und im Unternehmen eingeübte, als hilfreich erfahrene partizipative Entscheidungsprozesse werden auch im zivilgesellschaftlichen oder parteipolitischen Engagement eingebracht. Die Offenheit gegenüber Erfahrungen, Fragen oder Zweifel, die schwächere, jüngere oder schweigende Betroffene einer Gemeinschaft einzubringen haben, ist auch demokratiepolitisch relevant. Denn die beste Lösung ist nicht immer die derjenigen, die am lautesten schreien oder sich mit Macht und Gewalt durchsetzen. Schon Benedikt von Nursia, der Gründervater der BenediktinerInnen wusste: der bzw. die Jüngste hat oft „das Bessere“ im Blick als die Alteingesessenen oder Hochrangigen (Regula Benedicti Kap. 3,3).

Autorin

Magdalena M. Holztrattner
M. Holztrattner © Mullan

Magdalena M. Holztrattner
Theologin, Organisationsberaterin, Erwachsenenbildnerin, Armutsforscherin, seit 2013 Direktorin der Katholischen Sozialakademie Österreichs (ksoe), Vortragende, Trainerin, Coach; Schwerpunkte sind u.a. Sozialethik, Spiritualität des Engagements, Führungsethik

Literatur

Waldemüller Bernhard, Gemeinsam entscheiden, ignat. Impulse Nr. 27, Würzburg 2008

Hofer Stefan / Riedlsperger Alois, Unterscheidung – Entscheidung – Entschiedenheit. Wien 2007