SDG-Ziel Nr. 5: Alle Arten von Diskriminierung gegen Frauen und Gewalt gegen Frauen beenden
Im Jahr 2016 kamen in Brasilien, meinem derzeitigem Dienstort, 30 Morde auf je 100 000 EinwohnerInnen; das sind etwa 30ig mal so viel wie im europäischen Durchschnitt[1]. Fast drei Viertel der Mordopfer sind nicht-weißer Hautfarbe, männlich und sehr viele zwischen 15 und 29 Jahren jung. Was Morde an Frauen angeht – 4,8 Morde auf 100 000 EinwohnerInnen und Tendenz deutlich steigend – liegt Brasilien weltweit an fünfter Stelle. Darüber hinaus muss auf das Phänomen des „Feminicidio“ eingegangen werden: die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind, im Zusammenhang mit häuslicher, sexueller oder reproduktiver Gewalt. 50 000 Akte sexueller Gewalt werden hierzulande jedes Jahr zur Anzeige gebracht; UN Women Brasilien geht freilich von einer Dunkelziffer von 1,35 Millionen Vergewaltigungen aus. Alle eineinhalb Stunden wird eine Frau in Brasilien getötet. Dabei verfügt Brasilien mit dem Gesetz Maria da Penha aus dem Jahr 2006 über ein an sich hervorragendes Gewaltschutz-Gesetz und auch über Frauen-Schutzinstitutionen. Wie so oft mangelt es an der Umsetzung. Mit finanzieller Unterstützung Österreichs arbeitete UN Women Brasilien Richtlinien zur Verfolgung von geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen in Brasilien aus, die nun auch in den 26 Bundesstaaten umgesetzt werden sollen.
Gewalt gegen Frauen – überall ein Thema
Gewalt gegen Frauen ist freilich ein weltweites Phänomen, und kein Land kann sich glücklich preisen, das Problem gelöst zu haben. Die Verleihung des Friedens-Nobelpreises 2018 an den kongolesischen Arzt Denis Mukwege und die Jesidin und irakische Menschenrechtsaktivistin Nadia Murad, die beide dafür eintreten, den Einsatz von sexueller Gewalt als Kriegsmittel in bewaffneten Konflikten zu beenden, rückte diese extreme Gewalt gegen Frauen erneut in den Brennpunkt der Weltöffentlichkeit. 18 Jahre nach der Annahme der Sicherheitsresolution 1325 zu Frauen in bewaffneten Konflikten war dies nicht nur relevant, sondern höchst nötig.
Eine Zusammenstellung von „Fakten und Zahlen“ der UN-Frauenorganisation UN Women enthält ernüchternde Zahlen über Ausmaß und Vielfalt der Gewalt, die Frauen angetan wird. Hier sind ein paar Beispiele:
- 35 Prozent der Frauen der Welt haben physische und/oder sexuelle Gewalt in ihrem Leben erlitten;
- Jedes zehnte Mädchen hat aufgezwungenen sexuellen Verkehr erlebt;
- Zumindest 200 Millionen Frauen in 30 Ländern wurden die Geschlechtsorgane verstümmelt; die Mädchen erlitten diese Beschneidungen zumeist vor ihrem 5. Lebensjahr;
- Frauen und Mädchen machen über 70 % der Menschen aus, die Opfer von Menschenhandel werden;
- 82 Prozent der Parlamentarierinnen, die an einer Befragung durch IPU (Interparliamentary Union) teilnahmen, berichteten, dass sie während ihrer Amtszeit psychologischer Gewalt – durch sexistische Beschimpfungen und Gestik – ausgesetzt waren.
Die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind, und physische und sexuelle Gewalt gegen Frauen sind extreme Formen der Diskriminierung. Diskriminierungen in anderer Weise , besonders wenn sie institutionell verankert sind – durch die Verweigerung von gleicher Bezahlung bei gleicher/vergleichbarer Arbeit; durch das Weitertragen von Gender-Vorurteilen, auch über neue Technologien (Stichwort: Cyber-Mobbing) ; durch das Erschweren der gleichberechtigten Mitwirkung von Frauen an gesellschaftlichen und politischen Entscheidungsprozessen und vieles mehr – bereiten den Weg für Gewalt gegen Frauen.
Sustainable Development Goal Nr. 5
Dementsprechend nimmt sich das Nachhaltigkeitsziel Nr. 5 (SDG 5) vor, alle Arten von Diskriminierung gegen Frauen und Gewalt gegen Frauen zu beenden.
Die Verwirklichung – oder das Verfehlen – von SDG 5 hat auch unmittelbare Auswirkungen auf unsere Bemühungen um gesamtgesellschaftliche Nachhaltigkeit. Unsere Welt werde nicht von ihren wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Missständen befreit werden können, solange nicht Frauen ihre Fertilität und den Zeitpunkt kontrollieren, zu dem sie Kinder haben; solange sie als Kinder oder Teenager verheiratet werden, solange ihnen Bildung und angemessene Beschäftigung verweigert wird, solange sie sehr wenig sozio-ökonomische und politische Macht haben und im Wesentlichen unter der Kontrolle – häufig der gewaltsamen Kontrolle – von Männern sind, schreibt die amerikanische Essayistin und Kommentatorin Katha Pollit[2].
Österreichs Commitment
Österreich setzt sich international mit Nachdruck für die Rechte von Frauen ein. Auf der Wiener Menschenrechtskonferenz 1993 wurde zum ersten Mal unmissverständlich in das Schluss-Dokument geschrieben, dass die Rechte von Frauen ein unveräußerlicher Teil der universellen Menschenrechte sind[3]. Die Resolution des SR 1325 wurde 2010 über österreichisches Betreiben und unter österreichischem Vorsitz im Sicherheitsrat angenommen. Gender-Überlegungen werden systematisch in den Programmen der österreichischen Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt. Bundesministerin Karin Kneissl hat den Bereich Frauen-Gesundheit, inklusive den Kampf gegen weibliche Genitalverstümmelung, zu einer ihrer erklärten Prioritäten erhoben.
Gender-Gap in Österreich
In der österreichischen Gesellschaft selbst ist freilich noch einiges an Anstrengungen nötig, bevor Geschlechter-Gerechtigkeit verwirklicht wird. Der „Gender-Gap“- Bericht des Weltwirtschaftsforums , der Statistiken und Indizes für die Bereiche Gesundheit, Erziehung, Wirtschaft und Politik vorlegt, konstatierte 2017 zum ersten Mal eine weltweite Vergrößerung des Gender Gaps gegenüber dem Vorjahr und verwies Österreich mit Rang 57 erneut auf einen schlechteren Platz als im Vorjahr (2016: Platz 52; 2015: Platz 37; 2013: Platz 19). Besonders schlecht schneidet Österreich mit Rang 84 im Sub-Index für Bildung und Rang 80 im Sub-Index für Wirtschaftliche Teilhabe und Möglichkeiten ab; und während 34 Ländern im Bereich „Gesundheit und Überleben“ Parität zwischen Frauen und Männern konzediert wird, weist Österreich mit Rang 72 noch einen signifikanten Gender-Gap auch in diesem Bereich auf. Am besten punktet Österreich im Bereich Politische Ermächtigung mit Rang 54.
So ist es nicht verwunderlich, dass die Initiatorinnen des Volksbegehrens 2017 darauf hinweisen, dass ihre Forderungen sich nicht sehr von jenen des Volksbegehrens aus dem Jahr 2014 unterscheiden. Fast 500 000 Unterschriften konnten sie Anfang Oktober 2018 dafür gewinnen.
Wie kann man/frau nun im eigenen Bereich auf eine Verbesserung der Situation – mehr Gender-Gerechtigkeit, gleichberechtigte Mitwirkung von Frauen und Männern an allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Vorgängen, Überwindung von geschlechtsbezogenen Stereotypen – hinarbeiten?
Hier sind sieben Vorschläge, die sich leicht und rasch umsetzen lassen:
- Engagieren Sie sich durch Mitarbeit oder Spende in einer Organisation, die für Gender-Gerechtigkeit eintritt, z.B. im Österreichischen Nationalkomitee für UN Women, das die einschlägige UNO-Arbeit unterstützt oder in einem anderen Verein, wie etwa Solwodi Österreich, der sich für Frauen einsetzt, die in ihren Heimatländern oder in Österreich in große Not geraten sind. Dieses zivilgesellschaftliche Engagement ist umso wichtiger, als die öffentlichen Förderungen für Gender-Gerechtigkeit derzeit stark gekürzt werden.
- Nehmen Sie eine Bekannte/einen Bekannten zu der nächsten öffentlichen Veranstaltung mit, in der es um Gender-Gerechtigkeit geht und fordern Sie Handlungen von den politischen (und kirchlichen[4]) Instanzen ein.
- Bauen Sie Ihre eigene Kompetenz und Ihr Selbstvertrauen aus, indem Sie sich weiterbilden; der nächste ksoe-Lehrgang „Macht mit Verantwortung“ für Frauen in Führungsfunktionen etwa beginnt im Februar 2019.
- Setzen Sie ein Zeichen der Solidarität mit Frauen, die Diskriminierung und Gewalt erleiden, etwa indem Sie an der jährlichen Familien-Fasttag-Aktion der Katholischen Frauenbewegung teilnehmen und so helfen „Zukunft zu spenden“.
Setzen Sie in Ihrem Betrieb die UN-Prinzipien für die Ermächtigung von Frauen um (die Prinzipien auf Deutsch finden sie hier >). - Treten Sie einem Frauen-Netzwerk in ihrem jeweiligen beruflichen Umfeld bei (wie etwa das Global Women‘s Network for the Energy Transition, GWNET, das Frauen fördert, die im Energie-Sektor tätig sind, und die Energie-Wende zu beschleunigen versucht).
- Engagieren Sie sich während der 16 Tage gegen Gewalt gegen Frauen, die die UNO jedes Jahr zwischen dem 25. November (dem Aktionstag gegen Gewalt gegen Frauen) und dem 10.12. (dem internationalen Tag der Menschenrechte) begeht, in dem Sie orange Kleidung tragen, Immobilien orange beleuchten, Solidarität mit Frauen zeigen, die Opfer von Gewalt geworden sind, und sich an der öffentlichen Diskussion des Themas beteiligen.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist nicht unvermeidbar. Diskriminierung von Frauen und Mädchen ist nicht gottgegeben. Wie wir als Gesellschaft und als einzelne mit den Rechten von Frauen umgehen, entscheidet über die Glaubwürdigkeit unseres Bekenntnisses zu den Menschenrechten. Gendergerechte Gesellschaften haben zudem mehr und bessere Ressourcen, um zukunftsfähig zu werden.
[1] Vgl. den jährlich von IPEA (Instituto de Pesquisa Economica Aplicada) herausgegebenen “Atlas der Gewalt”
[2] Zitiert in: Teresa Foldy, Someone is Missing in the Common House. In: Journal of the European Society of Women in Theological Research 25 (2017), p. 188
[3] In Paragraph 18 der Vienna Declaration and Platform for Action heißt es: “The human rights of women and of the girl-child are an inalienable, integral and indivisible part of universal human rights. The full and equal participation of women in political, civil, economic, social and cultural life, at the national, regional and international levels, and the eradication of all forms of discrimination on grounds of sex are priority objectives of the international community.
Gender-based violence and all forms of sexual harassment and exploitation, including those resulting from cultural prejudice and international trafficking, are incompatible with the dignity and worth of the human person, and must be eliminated. This can be achieved by legal measures and through national action and international cooperation in such fields as economic and social development, education, safe maternity and health care, and social support.
The human rights of women should form an integral part of the United Nations human rights activities, including the promotion of all human rights instruments relating to women.
The World Conference on Human Rights urges Governments, institutions, intergovernmental and non-governmental organizations to intensify their efforts for the protection and promotion of human rights of women and the girl-child.
[4] Vgl. die Aufforderung der Wiener Sozialethikerin Univ.-Prof. Dr. Ingeborg Gabriel, der Papst möge – analog zu Laudato Si – auch eine Frauen-Enzyklika schreiben, damit die soziale und menschenrechtliche Dimension zurück in die Diskussion geholt wird und der bestehende „blinde Flecken“ in der katholischen Sozialethik überwunden werde.
Autorin

Irene Giner-Reichl
seit 1982 im Höheren Auswärtigen Dienst Österreichs; 2012 – 2017 Botschafterin in Peking; derzeit Botschafterin in Brasilien; Arbeitsschwerpunkte: Nachhaltige Entwicklung und globale Fragen, Entwicklungszusammenarbeit, internationale Kooperation zu Energie und Gender; Autorin von Artikeln und Sachbüchern zu Nachhaltigkeit, Entwicklung und Spiritualität; Ausbildung und Praxis in Begleitung von Personen und Prozessen; zertifizierte Yogalehrerin.