Das Netzwerk RIPESS hat einen zweijährigen internationalen Prozess zur Frage gestartet, wie Solidarische Ökonomie die Wirtschaft transformieren kann. Dieser Prozess soll 2020 in Barcelona in ein „Weltsozialforum für Transformative Ökonomien“ münden.Schon seit den 1990er Jahren arbeiten vielfältige soziale Bewegungen daran, eine Wirtschaftsweise aufzubauen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellt und nicht den Profit. Diese Bewegungen schließen an alte Traditionen des genossenschaftlichen Produzierens an, beleben auch die Erfahrungen der Alternativökonomien aus den 1970er und 1980er Jahren neu und haben in den letzten Jahren zugenommen. In Brasilien wurden die Zielsetzungen der Solidarischen Ökonomie institutionalisiert, 2003 wurde ein Staatssekretariat für Solidarische Ökonomie geschaffen. Auch wenn dieser Schritt unter dem neuen Präsidenten Jair Bolsonaro möglicherweise wieder rückgängig gemacht werden wird ‒ der Impuls, der von Brasilien aus in die Welt hinausgegangen ist, wirkt nach und hat sich in unzähligen Initiativen weltweit verstärkt. So gibt es seit 2014 etwa ein Gesetz für Soziale und Solidarische Ökonomie in Frankreich, das einen neuen Wirtschaftssektor definiert, zu dem sowohl die traditionellen Genossenschaften als auch die neuen alternativen Ökonomien gehören.
Barcelona als Vorreiter
Auch in Barcelona treibt die feministische Stadtregierung unter Ada Colau die Solidarische Ökonomie voran. Dies geschieht zum einen über gezielte Förderungen und den politischen Anspruch, solidarisches Wirtschaften zur dominanten Ökonomie in der Region zu machen. Zum anderen hat die stadteigene Firma, die internationale Tagungen organisiert, unter Colau auch gleich das Konferenzangebot um Solidarische Ökonomie erweitert. Nun soll diese erfreuliche Dynamik noch einen Schritt weiter gehen. Für 2020 ist ein historischer Kongress geplant, so schreibt das interkontinentale Netzwerk RIPESS: Das „Weltsozialforum für Transformative Ökonomien“ in Barcelona.
Das Netzwerk wurde 1997 in Lima gegründet, als Bewegungen im frankophonen Raum in Kanada und Europa zusammen mit Bewegungen in Lateinamerika erkannten, dass sie ein gemeinsames Ziel verfolgten. Denn praktisch unabhängig voneinander hatten in allen drei Kontinenten Initiativen damit begonnen, anders zu wirtschaften. Diese Initiativen betonten die Rolle der Demokratie in der Produktion und belebten den Genossenschaftsgedanken neu. Davon ausgehend hat RIPESS seither mehrere internationale Treffen organisiert. Das Sozialforum soll einen historischen Markstein setzen und rund 10.000 Menschen aus aller Welt zusammenbringen.
Innovativer Planungsprozess
Bereits die Planung des Weltsozialforums soll Netzwerke schaffen, die auch politisch transformative Wirkungen entfalten. Folgende Themen werden diesen Prozess strukturieren: Feministische Ökonomien und Ökonomien mit einer Gender-Perspektive; Agro-Ökologie und Ernährungssouveränität; natürliche, urbane und digitale Commons; Soziale und Solidarische Ökonomie, Genossenschaftswesen und Fair Trade; ethische und solidarische Finanzierung. Das Weltsozialforum will aber nicht nur die Entwicklung der Solidarischen Ökonomie mit diesen Themen stärker verbinden, sondern auch eine globale Agenda formulieren ‒ mit gemeinsamen Verpflichtungen zu Aktionen und konkreten Vereinbarungen. Dass das kein frommer Wunsch bleibt, ist der Sinn der extensiven Vorbereitungen. Ein Ansatz also, wie man ihn sich öfter wünscht.
Der Weg zu diesem Weltsozialforum könnte auf ein wachsendes Selbstbewusstsein der Bewegungen für eine Solidarische Ökonomie hinweisen. Denn nicht immer wurde der Anspruch der Transformation so klar mit den Praktiken Solidarischer Ökonomie verbunden. In der breiteren Debatte ist Solidarische Ökonomie ja immer noch wenig bekannt. Der Genossenschaftssektor gilt für viele Menschen als verstaubt. Die andauernde, weltweite Bedeutung von Genossenschaften wird zumeist verkannt, die Renaissance in diesem Sektor noch wenig wahrgenommen. Allerdings bemühen sich verschiedene Organisationen innerhalb der UNO seitdem von ihr ausgerufenen Internationalen Jahr der Genossenschaften 2012 darum, bessere Daten zu Genossenschaften zu gewinnen und eine politische Perspektive zu entwickeln. Diesen Bemühungen entspricht der Elan mehrerer Genossenschaftsverbände, sich besser als bisher öffentlich darzustellen und den genossenschaftlichen Gedanken in aktuelle Debatten einzubringen. Hier könnte also etwas zusammenwachsen, was bisher noch zu oft getrennt bleibt: die neuen Alternativökonomien im globalen Norden, die oft informellen solidarischen Ökonomien des Südens, der traditionelle Genossenschaftssektor und die Themenvielfalt sozialer Bewegungen. Nicht zuletzt die Destruktivität des Rechtsextremismus drängt dazu, die Kräfte für den Wandel besser zu vernetzen, gezielt zu bündeln, und durch neue Synthesen weiterzuentwickeln. Mit Nischen eines anderen Wirtschaftens ist es nicht getan, es braucht eine vollständige Transformation. Das Weltsozialforum in Barcelona könnte diese Perspektive weiter öffnen.
Weitere Informationen unter
http://www.ripess.org/forum-social-mondial-economies-transformatrices/?lang=en
Der Beitrag ist zuerst in CONTRASTE – Monatsmagazin für Selbstorganisation, Jänner 2019, erschienen.
Tipps
ksoe-Frühstück
Katholische Soziallehre – Ausdruck Solidarischer Ökonomie
28.2.2019, 8:30-10:00
Nähere Informationen >
ksoe-Lehrgang Solidarisch Wirtschaften
Mai – November 2019, 4 Module, Wien-Friesach-Bozen-Wien
Information und Anmeldung >
ksoe-Dossier „Solidarische Ökonomien verbinden“
kostenloser Download >
Autor
Andreas Exner
Studium der Biologie (Ökologie) und Politikwissenschaften. Schasching-Fellow an der Katholischen Sozialakademie Österreichs 2018/19. Schwerpunkt ist der Beitrag Solidarischer Ökonomie zur sozial-ökologischen Transformation. Zahlreiche Publikationen zu diesem Thema.