Genossenschaftliche Plattformen als Gegenbewegung?

wechange_wir sind der Wandel

Plattform-Modelle liegen im Trend. Sie schieben sich in immer mehr Bereichen zwischen Unternehmen und Verbrauchern, in vielen Fällen mit dem Ziel, als digitaler Zwischenhändler einen möglichst großen Teil der Wertschöpfung in ihre Hand zu bekommen. Die entscheidende Frage bleibt, ob und welche Alternativen es dazu im Internet der unbegrenzten Möglichkeiten gibt? Können genossenschaftliche Ansätze eine Alternative sein, um Anbietern und Nutzern zu helfen, eine erheblich größere Unabhängigkeit zu bewahren?

Immer mehr Internetplattformen bieten VerbraucherInnen oder NutzerInnen attraktive Leistungen an. Sie setzen auf die Bequemlichkeiten der Verbraucher, denen sie eine umfassenden Überblick, leichte Such- und Bestellmöglichkeiten und fast immer auch weitere attraktive, oft kostenlose Vorteile anbieten. Letzteres geschieht, um auf deren Daten zugreifen zu können oder eine langfristige Bindung zu erreichen. Die GründerInnen dieser Plattformen sind oft große IT-Konzerne und Investmentgesellschaften mit viel Kapital im Hintergrund oder kleine, teilweise progressive sympathische Start-ups. Sobald letztere erfolgreich sind, kommt es aber oftmals zu einem Verkauf an Investoren.

Die entscheidende Frage bleibt, ob und welche Alternativen es dazu im Internet der unbegrenzten Möglichkeiten geben könnte? Eine kleine Reise durch die schöne neue Internetwelt ermöglicht einen kleinen nicht repräsentativen Einblick – in die genossenschaftlich strukturierte.

Gemeinschaftsgefühl bei Naturbeobachtung und  Lebensmittelkauf

Auf jede kommerzielle Ausrichtung verzichtet die gemeinnützige Genossenschaft naturgucker.de. mit Sitz in Northeim in Niedersachsen. Sie stellt seit 2008 eine Internetplattform zur Vernetzung von NaturbeobachterInnen zur Verfügung. Registrierte NutzerInnen können ihre eigenen Beobachtungen von Vögeln, Säugetieren, Insekten, Pflanzen oder anderen Organismen weltweit eintragen und sich darüber austauschen. 2012 traten u.a. die NABU (Naturschutzbund) Landesverbände von Hessen und Rheinland-Pfalz der Genossenschaft bei. 7.000 Menschen nutzen mittlerweile aktiv dieses Angebot. Eine wichtige Gruppe sind dabei HobbyfotografInnen, die Tier- und Pflanzenaufnahmen einstellen, gegenwärtig schon über 175.000.

Auch im alternativen Lebensmittelhandel beginnt „die neue Ära“. KundInnen sollen bestimmen, was und zu welchem Preis auf den Tisch kommt, vertritt Norbert Hegmann, vom Food-Start-up My Enso. Er will sie mit jeweils 100 Euro an einer Genossenschaft beteiligen. Deren Einfluss soll allerdings erheblich weiter gehen: Das Start-up konzipiert seinen Online-Supermarkt in Bremen zusammen mit 2.000 Beteiligten, die Anstöße unter anderem für das Sortiment liefern können. Aufgebaut werden soll der „beste Supermarkt für Deutschland“ so Hegmann, „nämlich von den Kunden für die Kunden.“

Zwischen Sharing Economy und Kultur

Die Idee des Car-Sharings des „Auto teilen“ ist in den Städten schon länger etabliert. Die Regional- und Energiegenossenschaft Aller-Leine-Tal eG (REALWeg) will dieses Konzept auf den ländlichen Raum übertragen. Mit sieben elektrisch angetriebenen Fahrzeugen eröffnen die InitiatorInnen mehrere Standorte im Aller-Leine-Tal. Die Buchung kann über eine Online-Plattform erfolgen, ist aber auch telefonisch möglich. Neben einer einfachen Belegung der Fahrzeuge wird mit ehrenamtlichen Fahrern oder Fahrerinnen auch ein Senioren-Fahrdienst angeboten. Würde eine solche Plattform bundesweit von allen bürgerschaftliche orientierten Car-Sharing-Unternehmen genossenschaftlich aufgebaut werden, wäre dies langfristig der zukunftsträchtigere Weg.

Neu am Markt versucht sich die FK FAIRKULTUR eG zu etablierten. Am 26.10.2017 in Berlin gegründet, organisiert sie eine neue Form der Kunst- und Kulturarbeit. Bausteine sind Projektarbeit mit solidarischen Unterstützern, mit genossenschaftlicher Finanzierung und zusammen mit InvestorInnen, die in den Bereich Kunst und Kultur investieren. Als Genossenschaft 3.0 betreibt sie zu diesem Zweck eine Internet-Plattform, auf der Dienstleistungen angeboten werden, beispielsweise der Handel von Leistungen, Objekten, Produkten und Rechten aus dem Kunst-, Kultur- und Kreativbereich. Ein Schwerpunkt werden die KünstlerInnen aller Kunstgattungen sowie Kulturschaffende sein, die ihre Werke und kreativen Leistungen als Projekte initiativ entwickeln und umsetzen.

Plattform für gesellschaftlichen Wandel

Seit 2015 existiert die WECHANGE Genossenschaft, eine Kommunikationshilfe bzw. ein Tool für gesellschaftlichen Wandel. Sie betreibt die gleichnamige Online-Vernetzungs- und Kollaborationsplattform, die bereits von über 15.000 Menschen genutzt wird. In mehr als 250 Gruppen, über 400 Veranstaltungen und über 500 gestarteten Projekten hat sich auf wechange.de ein beachtlicher Teil der sozial-ökologischen Wandelbewegung versammelt, aber auch Menschenrechts-Aktivist*innen und andere zivilgesellschaftliche Initiativen. Über WECHANGE organisieren sich lokale Foodsharing-, Transition-Town- und Gemeinwohlökonomie-Gruppen, aber auch große Verbände und Netzwerke wie „netzwerk n“ oder das Netzwerk Wachstumswende. Neben wechange.de betreut die Genossenschaft weitere Portale, die nur den Mitgliedern der jeweiligen Organisationen offen stehen.

Als ethisch korrekte Alternative zu Google-Docs, Dropbox, Asana, doodle etc. bietet die Plattform wichtige Funktionen für eine unkomplizierte Online-Zusammenarbeit an und das bei maximalem Datenschutz. Zahlreiche Funktionen stehen standardmäßig zur Verfügung:

  • Karte – jederzeit sehen, wo der Wandel ist, gefiltert nach Personen, Veranstaltungen, Gruppen und Veranstaltungen
  • Suche – nach Inhalten innerhalb der eigenen Projekte und Gruppen suchen
  • Veranstaltungen – Termine in einen Kalender eintragen, intern oder öffentlich
  • Neuigkeiten – wie auf Facebook Nachrichten veröffentlichen und kommentieren
  • Terminfindung – Terminoptionen anlegen und die am besten passenden ermitteln
  • Umfragen – Meinungen einholen und Entscheidungen fällen
  • Aufgaben – Aufgaben erstellen, Projektmitgliedern zuweisen und abhaken
  • Dateien – beliebige Dateien hochladen und geordnet für das Team zugänglich machen
  • Dokumente – in Echtzeit zusammen schreiben und rechnen, in geordnet abgelegten Etherpad- und EtherCalc-Dokumenten
  • Nachrichten – direkte Nachrichten an eine oder mehrere Personen oder an alle im Projekt oder der Gruppe schicken

Bisher wird die Plattform als alternativer Geheimtipp aus Berlin gehandelt, doch das könnte sich bald ändern – denn sie wird täglich beliebter.

Autor

Burghard Flieger

Burghard Flieger
Volkswirt und Soziologe, seit über 30 Jahren forschend, lehrend, schreibend und beratend im Bereich neuer Genossenschaften aktiv, Vorstand und wissenschaftlicher Leiter der Beratungs- und Qualifizierungsgenossenschaft innova eG – Engagement für genossenschaftliche Neugründungen. Burghard Flieger
ist Berater am ksoe-Lehrgang „Solidarisch Wirtschaften“, der am 26.4.2018 startet. Anmeldungen bis 20.3.

Weiterer Artikel des Autors: Genossenschaften als Postwachstumspioniere?

Aktuelles Buch des Autors:
Burghard Flieger: Prosumentenkooperation. Geschichte, Struktur und Entwicklungschancen gemeinschaftsorientierten Wirtschaftens in der Ernährungswirtschaft am Beispiel der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaften, Theorie der Unternehmung Bd. 63, Marburg 2016 (Metropolis-Verlag), 26,80 Euro, 232 Seiten.