Stephan Schulmeister beschäftigt sich in „Der Weg zur Prosperität“ mit Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung in Europa: ‚Vor fünfzig Jahren herrschte Vollbeschäftigung, die Staatsverschuldung war zwanzig Jahre lang gesunken, der soziale und europäische Zusammenhalt war stärker als heute. Warum hat sich die Lage in Europa seither schleichend verschlechtert? Welche Einsichten braucht es, damit wir die gesellschaftliche Entwicklung nicht als „Sachzwang“ erleben, sondern als gestaltbar, und zwar von uns selbst? Welche Wege führen aus der Krise?‘ (S. 9)
Inspiriert von John Maynard Keynes, widmet sich Schulmeister der ökonomischen Theorie und ihrer Wechselwirkung mit Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Er kritisiert die Entwicklung der letzten Jahrzehnte als dominiert von der neoliberalen Theorie. Als Hauptprobleme neoliberaler Entwicklung benennt Schulmeister (1) die „Ent-Fesselung der Finanzmärkte“, (2) Arbeitslosigkeit durch verlangsamtes Wachstum von Realinvestitionen und Produktionskapazitäten, (3) Schwächung von sozialem Zusammenhalt und der Realwirtschaft durch Sparpolitik, Lohnsenkungen und Prekarisierung, (4) Preisschwankungen durch Finanzspekulationen und (5) schwere Wirtschaftskrisen bis hin zur Finanzkrise 2008.
Kapitalistische Spielanordnungen
Schulmeister skizziert einen theoretischen Rahmen, der die ökonomische, soziale und politische Entwicklung als Abfolge von zwei kapitalistischen „Spielanordnungen“ beschreibt: ‚Im Realkapitalismus dominieren die – überwiegend gemeinsamen – Interessen von Realkapital und Arbeit, Finanzkapital wird „ruhiggestellt“, bei festen Wechselkursen, Rohstoffpreisen sowie Zinssätzen unter der Wachstumsrate kann sich das Profitstreben nur in der Realwirtschaft entfalten. Im Finanzkapitalismus lenken die Anreizbedingungen, insbesondere schwankende Wechselkurse, Rohstoffpreise, Aktien- und Anleihekurse sowie Zinssätze über der Wachstumsrate, das Profitstreben auf Finanzspekulation; auch Großkonzerne der Realwirtschaft verstärken ihre Finanzinvestitionen auf Kosten von Realinvestitionen‘ (S. 11).
20 Thesen
Aufbauend auf diesem Rahmen präsentiert Schulmeister 20 Thesen, die einerseits die Kritik an der neoliberalen Entwicklung seit den 1970er bzw. 1980er Jahren bekräftigen und andererseits einen alternativen Zugang präsentieren, der sich vordergründig an J.M. Keynes orientiert. Schulmeister setzt seine theoretischen Auseinandersetzungen in den Kontext der konkreten Auseinandersetzung mit historischen und aktuellen Entwicklungen von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik in Europa. Die Auswirkungen der aktuellen Finanz- und Verschuldungskrise schildert er mit besonderer Genauigkeit und zeigt auf, dass durch die Sparpolitik der Konsum einbricht, die Arbeitslosigkeit steigt und die negative Entwicklung weitere Negativspiralen „systemisch“ auslöst.
Schulmeister gelingt es ausgezeichnet, abstrakte Theorie zu historisieren und zu konkretisieren. Seine Auseinandersetzung mit Keynes und dem Neoliberalismus geht weit über viele gängige mechanistische Interpretationen hinaus und betont die gesellschaftliche Einbettung von Wirtschaft und Wirtschaftspolitik. Gleichzeitig zeichnet er auch ein optimistisches Bild, dass ein sozial und moralisch besseres Wirtschaften nicht negativ, sondern positiv zum Wirtschaftswachstum beitragen kann. Diese Beiträge sind außerordentlich wertvoll und äußerst wichtig in einer Gesellschaft, in der allzu oft scheinbar „objektive“ ökonomische „Sachzwänge“ heraufbeschworen werden, die in weiterer Folge dafür verantwortlich sein sollen, dass es im Standortwettbewerb keine Alternative zu neoliberalen „Reformen“ wie Sozialabbau, Sparpolitik, „Bankenrettung“, etc., gäbe. Schulmeister präsentiert mit seinem Plädoyer für die „Realwirtschaft“, in der Profite durch produktive Investitionen und nicht virtuell am Finanzmarkt erzielt werden, eine interessante Alternative.
Alternativ-Entwürfe
Schulmeister beschäftigt sich mit einigen aktuellen gesellschaftlichen Alternativ-Entwürfen wie z.B. „Vollgeld“, dem bedingungslosen Grundeinkommen, der „Gemeinwohlökonomie“ oder der „Degrowth“- bzw. „Postwachstums“-Bewegung. Er verwirft diese Ideen nach kurzer Auseinandersetzung als „Weltverbesserungspläne und Heilslehren“ (S. 309) und präsentiert stattdessen „neue Theorien“ auf „mikro- und makroökonomischer Ebene“ (309). Konkret präsentiert er neue „Leitlinien“ zur „umfassenden Erneuerung des Europäischen Sozialmodells“, gestützt auf die Förderung der Realwirtschaft durch Stabilisierung der Finanzmärkte. Die Umwelt profitiert in Schulmeisters Modell vom neuen „Wachstumsmotor“ „grüner Arbeitsplätze“, etwa durch thermische Sanierung des Gebäudebestandes in der EU oder Investitionen in den öffentlichen Verkehr. Mit einem „New Deal“ könnte die EU auf einen „öko-sozialen Wachstumspfad“ gelangen. Ziel dieses „New Deals“ ist „Vollbeschäftigung bei geringem [Wirtschafts-]Wachstum und sinkender Arbeitszeit“ – ein Ziel, das durch eine neue „Rolle von Ökonomen“ ermöglicht wird, die von der „Marktreligiosität zurück zu Aufklärung und Anteilnahme“ kommen müssten.
Offene Fragen
Viele der Reformvorschläge Schulmeisters präsentieren interessante Alternativen. Daher bleibt zu hoffen, dass möglichst viele den Worten seiner Widmung des Buches folgen werden: „Den Neoliberalen in allen Parteien in den Medien und in der Wissenschaft“. Dennoch bleiben wichtige Fragen des globalisierten Wirtschaftens außen vor: Woher kommen die Ressourcen für die Aufrechterhaltung des beständigen Wirtschaftswachstums? Was passiert mit Abgasen und Abfällen, mit der Entropie, die durch beständiges Wirtschaftswachstum steigt?
Aktuell ist Europa im globalen Kontext nicht nur unter den reichsten Regionen, es ist auch die „Ressourcen-hungrigste“ Region, d.h. etwa die Hälfte des jährlichen Netto-Ressourcenverbrauchs muss importiert werden. Gleichzeitig verschärfen sich Ressourcenkonflikte in den größten Netto-Export-Regionen Lateinamerika und Afrika. Die Frage einer gerechteren Ressourcenverteilung im globalen Kontext wirft die Frage auf, ob die skizzierte sozial-ökologische Transformation mit fortgesetztem Wirtschaftswachstum in den „Ressourcen-hungrigen“ Regionen kombinierbar ist. Viele der von Schulmeister skizzierten Reformansätze, könnten auch in einer Europäischen Sozialunion greifen, die Wirtschaftswachstum nicht mehr als oberste Maxime sieht. Die Zunahme von Lebensqualität über öko-soziale Reformen könnte auch mit aufgeklärten und anteilnehmenden Ansätzen erreicht werden, die Wachstum im globalen Süden mit sozial ausgewogenen und intelligenten Ansätzen von „De-Growth“ in den Industrieländern verbinden.
Schulmeister, Stephan (2018): Der Weg zur Prosperität. Salzburg, München: Ecowin.
Autor
Bernhard Leubolt
Ökonom und Politikwissenschafter, Mitarbeiter der ksoe, Forschungs- und Grundlagenarbeit zu Demokratie, Sozialstaat, Zukunft der Arbeit, sozio-ökologische Transformation.