Wer kennt nicht diese Phasen im Arbeitsalltag: viele Anforderungen, Zeitknappheit, Hektik – und irgendwann der Wunsch nach einer Auszeit, um zu sich zu kommen und in Ruhe entscheiden zu können, wie das alles am besten zu bewältigen ist. Doch die Zeit nehmen wir uns selten und die für die Bewältigung erforderliche Gelassenheit stellt sich nicht von selbst ein. Kein Wunder, denn unser Körper befindet sich im Stressmodus, einem Überlebensmodus, der uns für Kampf oder Fluchtverhalten prädisponiert. Innehalten und besonnenes Überlegen sind von der Evolution für solche als bedrohlich erlebte Situationen nicht vorgesehen.
Damit ergibt sich besonders für Führungskräfte, die ständig mit verschiedensten Herausforderungen konfrontiert sind, ein Dilemma: von ihnen wird erwartet, dass sie speziell in stürmischen Zeiten ein Ruhepol, ein Fels in der Brandung sind, einen kühlen Kopf bewahren und wohlüberlegte gute Entscheidungen treffen. Das funktioniert aber nicht, wenn sie das Gefühl von Getriebensein erleben und dadurch reflexartig mit Aktionismus oder Vermeidung reagieren. Hat sich einmal die Stressreaktion im Körper stark entwickelt, verengt sich die Wahrnehmung, der Überblick geht verloren und das Verhalten wird unfrei und läuft nach eingefahrenen Mustern ab. Die in diesem Zustand getroffenen Entscheidungen und Verhaltensweisen werden dann meist der Sachlage und speziell auch den betroffenen Personen nicht gerecht.
Stress gibt einen Energiekick
Aber auch die im Stress gefangene Führungsperson leidet darunter. Solange sie im Geschehen ist, merkt sie es vielleicht gar nicht oder kann dem durch die Anforderungen ausgelösten Adrenalinkick sogar etwas abgewinnen. Dauerhafter Zeitdruck und der Anspruch, ständig funktionieren zu müssen und nicht scheitern zu dürfen, erzeugen jedoch mit der Zeit Erschöpfung, massive Unlust und Sinnverlust. Das Gefühl etwas bewirken und erfolgreich sein zu können, geht verloren. Es scheint ein Teufelskreis zu sein: große Herausforderungen erzeugen ein Erleben und Verhalten, das die erfolgreiche Bewältigung verhindern und damit noch mehr Stress und Frust hervor bringen. Die Situation erscheint „zum Davonlaufen“, „zum Resignieren“.
Notwendig erscheint es in solchen Situationen, auch einmal „auszusteigen“ oder zu versuchen, die Umstände zu ändern. Aber gibt es auch eine Möglichkeit, in der Situation zu bleiben, die stressinduzierten Muster zu durchbrechen und sich und somit auch die Herausforderungen wieder in den Griff zu bekommen? Wie erlangen wir die gewünschte Gelassenheit, um in komplexen Situationen gut abgewogene, an unseren Werten orientierte Entscheidungen treffen zu können?
Selbstmanagement durch Achtsamkeit
Hier ist Selbstmanagement im Sinne eines konstruktiven Umgangs mit Stress gefragt. Ein Schlüssel für die Regulierung des Stresserlebens ist dabei die Achtsamkeit. Achtsamkeit bedeutet die bewusste Wahrnehmung des Hier und Jetzt. Nicht nur der äußeren Situation, sondern auch der Gedanken und Gefühle im Moment. Dadurch können zum Beispiel Stress verstärkende Gedanken erkannt und der Umgang mit ihnen erlernt werden. Die Fähigkeit zur Achtsamkeit ist in jedem Menschen vorhanden, gehört aber wie eine Kunstfertigkeit weiterentwickelt, gepflegt und verfeinert. Sich dafür die Zeit zu nehmen und sich im Lernprozess unterstützen zu lassen, ist eine lohnende Investition.
Eine Möglichkeit dazu bietet der Ansatz der Achtsamkeit basierten Stressreduktion (MBSR: mindfulness based stress reduction). Er vereint verschiedene Methoden, Achtsamkeit zu erlernen und ist in seiner Wirksamkeit wissenschaftlich erforscht und jahrzehntelang erprobt. Durch regelmäßiges Üben entwickeln sich die Konzentrations- und Entspannungsfähigkeit und eine Haltung von Gelassenheit. Gelassenheit ist im Gegensatz zum Stressmodus eine Verfasstheit, in der offenes bewusstes Wahrnehmen und Handeln möglich ist. Damit können speziell Führungskräfte ihrer verantwortungsvollen Aufgabe besser gerecht werden und ihre Lebensqualität und das ihres Umfelds steigern.
Autor
Markus Hauser
Wirtschaftspsychologe, Psychotherapeut, seit 1993 Mitarbeiter der ksoe. Arbeitsschwerpunkte: Konzeption und Durchführung von Führungskräfteprogrammen, Moderation von Klausuren und Großgruppenveranstaltungen, Selbstmanagement, Dialog.
Markus Hauser: „Sinnvolles Selbstmanagement. Eine existenzanalytische Betrachtung von Selbstmanagementseminaren“, Akademikerverlag (2015)
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