Arbeit neu denken – für ein gutes Leben für alle

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Das „kollektive Hamsterrad“ hindert viele Menschen derzeit daran, sich politisch und sozial zu engagieren und stellt dementsprechend ein Hindernis für umfassende Demokratisierung dar. Carla Weinzierl, Attac Österreich[i], fordert daher eine Verkürzung der Erwerbsarbeitszeit.

Arbeitszeitverkürzung – aber solidarisch statt prekär

Fast 100 Jahre, nachdem der 8 Stunden Tag in Österreich eingeführt wurde, fordern Wirtschaftsinteressen die Rückkehr ins 19. Jahrhundert: weitere Flexibilisierung und die Ausweitung der Höchstarbeitszeit seien für den Wirtschaftsstandort Österreich unabdingbar. Bereits 1997 und 2007 gab es diese Angriffe, seither müssen ArbeitgeberInnen weniger Überstundenzuschläge zahlen und Kollektivverträge können die tägliche Arbeitszeit auf 10 und teilweise sogar 12 Stunden anheben. Gleichzeitig wird die Einführung eines Hartz IV Modelles erwogen.

Neben kontinuierlich hohen Arbeitslosenzahlen und hohen Überstundenzahlen samt ihrer gesundheitlichen Risiken sind die Beschäftigtenzahlen in Österreich in den letzten Jahren paradoxerweise stark gestiegen: und zwar über den Ausbau prekärer Arbeitsverhältnisse[ii]. So findet für viele de facto ein Prozess der Arbeitszeitverkürzung statt, jedoch ohne demokratisch gestaltet zu sein und ohne entsprechenden Lohnausgleich. Arbeitszeitverkürzung könnte Arbeit gerechter verteilen, schon nur eine Verkürzung auf 35 Stunden könnte 50.000 neue Arbeitsplätze schaffen[iii]. Doch es geht nicht darum, Jobs als Selbstzweck zu schaffen, sondern Arbeit gerecht zu verteilen, zu bewerten und wertzuschätzen. Bedürfnisorientierung statt Wachstumszwang ließe uns Arbeit an die Herstellung gesellschaftlich notwendiger Güter und Dienstleistungen knüpfen, unser ökologischer Fußabdruck würde schrumpfen.

Arbeit muss neu definiert werden

Die konkrete Forderung nach Arbeitszeitverkürzung[iv] muss also eingebettet werden in eine gesellschaftliche Neudefinition von Arbeit: es geht um nichts weniger als die Umverteilung der gesamten Lebenszeit und aller Tätigkeiten.

Aus wachstumskritischer und feministischer Perspektive erscheint die Vier-in-einem-Perspektive[v] ein sinnvoller Leitfaden für einen Wandel zu einer Gesellschaft, in der Wohlstand nicht als materieller Überfluss, basierend auf Konsumismus[vi] und imperialer Lebensweise[vii], sondern als Zeitwohlstand definiert wird.

In diesem Modell werden alle vier Arbeitsbereiche als gleich wichtig erachtet und allen Menschen ermöglicht: Erwerbsbereich (an Bedürfnissen orientiert: Nahrung, Dienstleistungen, Wohnraum, Energie etc.), Reproduktionsbereich (Haushalt, Kochen/Essen, Pflege etc), Kultur (Lernen, Muße, Fitness, Spiritualität, Kreativität etc.), Politik (Vereinsarbeit, Mitgestaltung, BürgerInnenräte etc). Geben wir diesen 4 Bereichen den gleichen Stellenwert und berechnen 8 Stunden täglich für Schlaf, fallen 4 Stunden auf jeden Bereich pro Tag. Erwerbsarbeitszeit wird also auf 20 Stunden pro Woche gekürzt. Die Entwicklung der Produktivkräfte im letzten Jahrhundert, also der Zuwachs an Arbeitsproduktivität[viii] rechtfertigt das allemal.

Das können wir uns nicht nur leisten, das müssen wir uns leisten

Die Frage ist nicht, ob wir weniger arbeiten sollten, sondern wie wir die Reduktion solidarisch gestalten. Eine drastische Erwerbsarbeitszeitverkürzung müsste, um gerecht zu wirken, bei vollem Lohnausgleich geschehen, allerdings mit gemeinsam auszuverhandelnder Deckelung, also maximaler Spreizung von Einkommen. Finanzierungsmodelle hierfür gibt es bereits. Das AMS kann anfänglich für Klein- und Mittelunternehmen die Hälfte der Mehrkosten übernehmen. Große, transnational agierende Konzerne brauchen diese Unterstützung nicht, da sie seit Jahrzehnten von steigenden Profitquoten[ix], also fallenden Lohnquoten profitieren. Im öffentlichen Sektor muss jedoch stark investiert werden, um die Sicherstellung und den Ausbau öffentlicher Infrastruktur und Dienstleistungen zu gewährleisten. Dies ist möglich über Vermögens- und Erbschaftssteuern, Bankenabgaben oder auch ökologische Steuern  sowie die Abschaffung von Steuerprivilegien und gesellschaftlich nicht erwünschten Subventionen.

Außerdem sind parallel Maßnahmen gegen Arbeitsverdichtung einzuführen, wie z.B. die Verpflichtung zur Erstellung von Arbeitszeitbilanzen und die Verteuerung von Überstunden. Im Gesundheits- und Sozialbereicht ist darüber hinaus ein gesetzlich geregelter Betreuungsschlüssel nötig.

Einer solchen Erwerbsarbeitszeitverkürzung auf 20 Stunden stehen rein Wirtschafts- und Kapitalinteressen entgegen, deren Ziel nicht die Achtung der menschlichen Würde und gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung sind, sondern Wachstum und Profitsteigerung. Angesichts der ökologischen Verwerfungen, die unsere Wirtschaftsweise erzeugt, wie Klimawandel und Biodiversitätsverlust, ist eine Abkehr von der Wachstumslogik jedoch ohnehin unabdingbar.

Der Beitrag beruht auf einem Impuls von Carla Weinzierl bei der Enquete der Allianz für den freien Sonntag Österreich und dem Sozialministerium am 7.11.2017 in Wien zum Thema „Zeitsouverän oder flexibel? Solidarische Arbeitszeitpolitik und die Rolle des freien Sonntags“. Attac ist Mitglied der Allianz für den freien Sonntag Österreich.

www.attac.at

Autorin

Carla Weinzierl
C. Weinzierl

Carla Weinzierl
ist Obfrau von Attac Österreich und engagiert sich in den Bereichen Handels-, Klima-, Energie- und Ernährungspolitik. Sie arbeitet an der WU Wien zum Thema sozial-ökologische Transformation.

 

[i] Attac (2010): Attac Deklaration 2010. Wien. [online verfügbar]
[ii] Wege aus der Krise (2017): Echt Krass, No 7: Weniger ist mehr – Arbeitszeit verkürzen! [online verfügbar]
[iii] Wege aus der Krise (2016): Zivilgesellschaftliches Zukunftsbudget 2017-2019. [online verfügbar]
[iv] BEIGEWUM (2017): Arbeitszeit: Verkürzung statt Flexibilisierung. Factsheet. [online verfügbar]
[v] Haug, Frigga (2011): Die Vier-in-Einem-Perspektive – Eine Utopie von Frauen, die eine Utopie für alle ist. & Die Vier-in-einem-Perspektive als Leitfaden für die Politik. [beides online verfügbar]
[vi] Warum ein Bedingungsloses Grundeinkommen nicht die (alleinige) Lösung sein kann, erklärt Andreas Novy in „Sozialökologische Infrastruktur statt Grundeinkommen“ [http://blog.arbeit-wirtschaft.at/sozialoekologische-infrastruktur-statt-grundeinkommen/]:  den Konsumismus, und damit den ökologischen Fußabdruck, können Geldtransfers nicht auflösen.  Außerdem wird das BGE schon jetzt von rechten und neoliberalen Kräften verwendet, um den Wohlfahrtsstaat auszuhöhlen, wie z.B. in Finnland.
[vii] I.L.A. Kollektiv (2017): Auf Kosten anderer. Wie die imperiale Lebensweise ein gutes Leben für alle verhindert. [online verfügbar]
[viii] Hier zum Beispiel für Deutschland: http://www.querschuesse.de/wp-content/uploads/2016/12/s1227.png
[ix] http://diekriseverstehen.net/B1_grafik_Lohn_Gewinnquote.png