Soziale Innovationen – der Schlüssel zum Umwelt- und Klimaschutz?

Alfred Strigl beim ksoe-Frühstück am 23.5.2018

Die Energie- und Nachhaltigkeitswende ist Dreh- und Angelpunkt zur Erreichung der globalen Nachhaltigkeitsziele, den Sustainable Development Goals (SDGs). Ein „Weiter-wie-bisher“ steht nicht zur Debatte, denn alle Szenarien für ein „Business-As-Usual“, kurz BAU-Szenarien, landen bis zur nächsten Jahrhundertwende im Desaströsen:

  • Die Temperaturen steigen im globalen Mittel zwischen 2 und 6 Grad Celsius an.
  • In Teilen Spaniens und Frankreich steigen die Temperaturen sogar um über 6 Grad Celsius.
  • Es kommt zur Abschmelzung antarktischer und arktischen Eismassen z.B. des Grönland-Eisschildes.
  • Der Meeresspiegel steigt in Folge dessen um 1 bis 3 Meter an – mit verheerenden Folgen für viele Länder und Städte.
  • Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt es zu einem Versiegen des Golfstroms auf der Nordhalbkugel.
  • Das Auftauen von Permafrostböden führt zur Freisetzung großer Methanmengen und damit zur Verschärfung des Klimawandels.
  • Auch ein großflächiges Absterben von Regenwaldflächen bspw. in Amazonien wird prognostiziert.
  • Die (Stark-)Niederschlagmengen steigen im Norden Europas und sinken im Süden Europas.
  • Hitzewellen werden häufiger, intensiver und dauern länger, sodass es zu anhaltenden Dürreperioden in Südeuropa kommt.
  • Vermehrte Wüstenbildung, Wasserknappheit und Waldbrände sind die Folge.

Die neue Klima- und Energiestrategie der Österreichischen Bundesregierung trägt diesen dramatischen Perspektiven spät aber doch Rechnung.

Die Strategie mit dem Titel „#mission2030“ ist mit Sicherheit die beste, die Österreich je hatte, denn sie ist die erste ihrer Art! Die wichtigsten Punkte daraus sind:

  • Bis 2030 soll eine CO2-Emissionsreduktion von 36 Prozent gegenüber 2005 erreicht werden
  • Strom soll bis 2030 fast zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie kommen. Der derzeitige Anteil liegt bei 72 Prozent.
  • Der Anteil der erneuerbaren Energieträger (für den Gesamtenergiebedarf) soll von derzeit 35 Prozent auf 45 bis 50 Prozent angehoben werden.
  • Die Erzeugung von Wärme soll bis 2050 zu 100 Prozent aus erneuerbarer Energie stammen.
  • Der Ausstoß beim Verkehr soll bis 2050 C02-neutral sein.
  • Die Steuer auf Eigenstromerzeugung soll gestrichen werden.
  • Die Radinfrastruktur soll massiv ausgebaut und der Radanteil in Österreich von derzeit 7 Prozent bis 2025 auf 13 Prozent erhöht werden.
  • Am Land sollen Schiene und Bus ausgebaut und weiterentwickelt werden.
  • Der „Masterplan Gehen“ zur Förderung des Fußgängerverkehrs soll durch die Gebietskörperschaften umgesetzt und weiterentwickelt werden.

Zusätzlich finden sich 10 Leuchtturmprojekte im Strategiepapier – von der Förderung von Wasserstoffautos bis zur Green Finance Initiative. In aller Kürze sind dies die „10 Leuchttürme“:

  1. Effiziente Güterverkehrslogistik: Verlagerung von der Straße auf die Schiene
  2. Stärkung des Schienenverkehrs: Entwicklung von Logistik-Hubs und die dafür notwendigen Schieneninfrastruktur
  3. E-Mobilitätsoffensive: E-Nutzfahrzeuge und E-Busse sein sowie Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Busse und eine Offensive zur Elektroautoförderung
  4. Thermische Gebäudesanierung: Förderungen für die Sanierung von Gebäudehülle und Heizsystemen
  5. Erneuerbare Wärme: Vor allem im Bereich des Wohnbaues wird der Ausstieg aus Ölheizungen vorbereitet
  6. 100.000-Dächer-Projekt: Photovoltaik-Anlagen und Kleinspeicher sollen forciert werden
  7. Erneuerbarer Energie: Wasserstoff und Biomethan soll begünstigt werden
  8. Green Finance Masterplan: Anreize für Investitionen in Bereiche die grüner Projekte sollen geschaffen werden
  9. Energieforschungsinitiative 1: Bausteine für die Energiesysteme der Zukunft
  10. Energieforschungsinitiative 2: Programm „Mission Innovation Austria“

Die Strategie muss sich dennoch einige Kritik gefallen lassen:

  • Umsetzungsinstrumente fehlen quasi auf allen Ebenen, von der Bundes-, über die Länder- bis zur Gemeindeebene.
  • Wer auf eine öko-soziale Steuerreform gehofft hat, wird wieder einmal enttäuscht. Die Strategie will gänzlich ohne neue Steuern und Belastungen auskommen.
  • Kontraproduktive Förderungen und Investitionen werden ebenso wenig angegangen wie konkrete Aussagen zur Finanzierung der Strategie.
  • Die Sanierungsrate von Gebäuden soll von derzeit einem (1!) Prozent auf lediglich zwei (2!) Prozent angehoben werden.
  • Die Strategie meint, es brauche neue Sharing-, Pooling- oder Mikro-Öffis-Systeme, die den öffentlichen Linienverkehr ergänzen. Doch wie bleibt völlig offen.

Eine wahrhaft zukunftsfähige Nachhaltigkeitswende zur Erreichung der Nachhaltigkeits- und Klimaziele braucht neben technischen Innovationen vor allem „soziale Innovationen“.
Soziale Innovationen sind der Schlüssel zu effektivem Umwelt- und Klimaschutz, denn sie betreffen die sozialen Techniken und Praktiken, die Arbeits- und Lebensstile der Menschen.

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass mit technischen Innovationen oft nur 30-40% des Machbaren ermöglicht wird. Der überwiegende Teil wird durch soziale Interaktionen bestimmt.
Wie wir essen, konsumieren, arbeiten, uns bilden und fortbewegen, unsere Freizeit verbringen und vieles mehr, hängt von eingeübten alten bzw. ausprobierten neuen Mustern und Abläufen ab.

Soziale Innovationen sind neue Gestaltungs- und Nutzungsformen, wo neue Techniken eingeübt und integriert werden. Beispiele für „soziale“ Innnovationen gefällig?

  • Neue Formen der Organisation, Moderation  und Entscheidungsfindung: Soziokratie, Holacracy etc.
  • Neue Formen des Zusammen-Lebens: Co-Housing, Eco-Villages etc.
  • Neue Formen des Zusammen-Arbeitens: Co-Working-Spaces, Fab-Labs etc.
  • Neue Formen des Zusammen-Lernen: Co-Learning Spaces, Co-Creation-Spaces etc.
  • Neue Formen der Nutzung gemeinsamer Räume: Urban Gardening, Urban Farming etc.
  • Neue Formen des gemeinsamen Konsums: Food-Coops, Gemeinschaftsküchen etc.
  • Neue Formen der Finanzierung: Crowd Funding, Green Finance, ICOs (Initial Coin Offerings, d.s. sind digitale Währungen) etc.
  • Neue Formen der Kollaboration: Multi-Akteurs-Netzwerke etc.
  • u.v.m.

Die Nachhaltigkeitswende werden wir schaffen. Aber nur gemeinsam in sogenannten Multi-Akteurs-Allianzen, die über alte Gräben hinweg das Gemeinsam über das Trennende stellen.
Ein Aufgreifen und Initiieren sozialer Innovationen würde ich mir in der Klima- und Energiestrategie der Bundesregierung wünschen.

Dafür braucht es lokale Räume für Experimente, Innovations- und Sonderzonen für sozial-ökologische Probelläufe. Es braucht Reallabore in Stadtteilen und in ländlichen Region, wo Erfahrungen gesammelt und Kompetenzen aufgebaut werden. Was sich bewährt, soll für die sozial-ökologische Transformation größer skaliert und verbreitet werden.

Eins bin ich mir sicher: Wenn wir die grobe Revolution vermeiden wollen, die uns die Natur aufgrund unserer Versäumnisse in den nächsten Jahrzehnten bescheren wird, sollten wir schleunigst die sozial-ökologische Reformation angehen.

Autor

Portrait von Alfred Strigl
Alfred Strigl, Fotocredit ©Aleksandra Pawloff

Alfred Strigl
Nachhaltigkeits- und Transformationsexperte, leitet das ÖIN – Österr. Institut f. Nachhaltige Entwicklung an der Univ. für Bodenkultur Wien, Geschäftsführer der Plenum GmbH, Mit-Gründer von zahlreichen Initiativen, Berater am ksoe-Lehrgang „Soziale Verantwortung. Gestaltungskompetenz für den gesellschaftlichen Wandel“

Der nächste ksoe-Lehrgang „Soziale Verantwortung. Gestaltungskompetenez für den gesellschaftlichen Wandel“ startet am 1. Oktober 2018. Nähere Infos>