Global Denken, lokal Handeln (Think global, act local) – ist ein Slogan, der oft verwendet (aber seltener befolgt) wird. Alle Politik ist Lokalpolitik (all politics is local) ist ein anderer. Auf der Verwaltungsebene der Gemeinde trifft das Globale auf das Lokale. Hier muss sich auch zeigen, dass/ob Nachhaltigkeit mehr als ein Lippenbekenntnis der Politik ist. In diesem Sinne stellt das Nachhaltigkeitsziel Nr. 1 Städte und Siedlungen, die „inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig“ sein sollen[1] ins Zentrum.
Urbanisierung ist ein globaler Trend. Bereits jetzt leben 4,2 Milliarden oder fast 55 Prozent der Weltbevölkerung in Städten[2]; bis zum Jahre 2050 werden es laut UNO[3] 68% sein. Der größte Zuwachs an städtischer Bevölkerung wird in Indien (über 400 Mio.), China (255 Mio.) und Nigeria (190 Mio.) erwartet. Viele Menschen leben nach wie vor in Slums: mehr als eine Milliarde nach Statistiken der Vereinten Nationen (https://unhabitat.org/slum-almanac-2015-2016/). Und bei Fortschreibung der derzeitigen Trends werden 2050 an die 30 Prozent der Weltbevölkerung in städtischen Slums leben. Die weltweite ländliche Bevölkerung, derzeit 3,4 Mrd., wird kurze Zeit noch ein wenig wachsen, dann aber abnehmen und bis 2050 auf etwa 3,1 Mrd. Menschen zurückgehen. 90% der ländlichen Bevölkerung lebten 2018 in Afrika und Asien (fast 900 Mio. davon in Indien und 580 Mio. in China).
Die Vereinten Nationen beschäftigen sich systematisch mit Fragen der Urbanisierung, die letzte der bisher drei Globalen Konferenzen zu dem Thema – Habitat III – fand im Oktober 2016 in Quito, Ecuador, statt; 30.000 Personen nahmen daran teil und, wie der UNO-Generalsekretär hervorhebt, bei allen Konferenz-Ereignissen war regionale und Gender-Inklusivität gewahrt. Habitat III nahm die „Neue Agenda für Städte“ (New Urban Agenda) mit Standards und Prinzipien für die Planung, Errichtung, Entwicklung, Verwaltung und Verbesserung von städtischen Gebieten in fünf Haupt-Achsen (nationale Politiken für Stadtentwicklung, städtische Regelwerke, Stadtplanung, Lokale Wirtschaft und Gemeinde-Finanzierung; und lokale Umsetzung) an.
Städte sind Schlüsselakteure für nachhaltige Entwicklung und Klima-Aktion. 70% des weltweiten BNP wird in Städten generiert; 60% des globalen Energie-Verbrauchs findet in Städten statt; 70% der Treibhausgas-Emissionen und 70% der Abfälle weltweit, werden von Städten hervorgebracht. Mit Recht kann gesagt werden, dass der Kampf um nachhaltige Entwicklung in Städten gewonnen oder verloren werden wird[4] .
Verschiedene Vereinigungen versuchen, durch eine Vernetzung von Städten und anderen sub-nationalen Verwaltungsebenen die nötigen Transformationen hin auf größere Nachhaltigkeit bestmöglich zu verwirklichen. Eine der wichtigeren Plattformen ist R-20, die von Arnold Schwarzenegger während seiner Zeit als Gouverneur von Kalifornien ins Leben gerufen wurde. Seit 2017 organisiert R-20 auch in Wien jährlich eine öffentlichkeitswirksame Veranstaltung in Wien, mit hochrangiger politischer Beteiligung (siehe https://www.austrianworldsummit.com/). Der nächste R-20 Gipfel wird am 28. 5. 2019, wieder in der Hofburg, und zum ersten Mal auch mit einem „ClimateKirtag“ (mit freiem Eintritt) am Heldenplatz stattfinden; Themenschwerpunkte werden Klima-Finanzierung (neue Möglichkeiten für Entwicklungsländer), Nachhaltige Städte (Karbon-neutrales und leistbares Wohnen), erfolgreiche Klima-Aktion-Kommunikation; und Strategien zur Verringerung von Plastik-Abfall sein.
ICLEI, eine andere Vereinigung von Städten, hat eine Mitgliedschaft von 3.572 Städten und Regionen weltweit. Bei seinem letzten Weltkongress im Juni 2018 hat ICLEI die fünf miteinander verbundenen Pfade für Nachhaltige Entwicklung[5] im städtischen Bereich, die zu diesem Zeitpunkt bereits in 130 konkreten Aktionen oder Initiativen umgesetzt wurden, bekräftigt:
- Entwicklung mit niedrigen Treibhausgasemissionen: mildert den Klimawandel, schafft neue wirtschaftliche Möglichkeiten und verbessert die Gesundheit von Menschen und Natur;
- Natur-nahe Entwicklung: schützt und stärkt die biologische Vielfalt mit positiven Auswirkungen für lokale Wirtschaft und die Resilienz von Gemeinschaften;
- Zirkuläre Entwicklung: beruht auf Wiederverwendung, dem Teilen von Gütern und beendet das lineare Modell „produzieren-konsumieren-wegwerfen“;
- Widerstandsfähige Entwicklung: federt erwartbaren Stress für (natürliche und soziale Öko-Systeme) im Vorhinein ab und stärkt die Fähigkeiten einer Gemeinschaft, auf schwierige Situationen zu reagieren;
- Gerechte und auf Menschen abstellende Entwicklung: fördert Transparenz, schließt Alle ein und sucht Armut zu überwinden.
Besondere Schwerpunkte wurden – unter dem Vorsitz von Valerie Plante, der ersten Frau in der Bürgermeisterfunktion in der 375-jährigen Geschichte von Montreal – auf das Potential von Frauen-Leadership bei der Implementierung von nachhaltigen Entwicklungsansätzen, auf die Versöhnung und Zusammenarbeit mit indigenen Völkern im Hinblick auf eine gemeinsame Zukunft und den Klima-Dialog gelegt. „Vielfalt der Rasse, Hautfarbe, Religion, Bekenntnis, Gender, Alter, körperlicher und geistiger Fähigkeiten und sexueller Orientierung sind Quellen der Stärke, Innovation und neuer Ideen“, heißt es programmatisch in der ICLEI Verpflichtung und strategischen Vision[6].
In Österreich leben rund zwei Drittel der Menschen in Städten. Das größte Klima-Schutz-Netzwerk in Österreich ist das Klima-Bündnis, in dem rund 950 Gemeinden, Betriebe, Schulen und Kindergärten und alle neun Bundesländer Mitglieder sind. Das Klima-Bündnis unterstützt FOIRN, den Dach-Verband Indigener Organisationen am Rio Negro im brasilianischen Amazonas-Gebiet, ideell, politisch und finanziell.
Noch mehr als andere Politik-Bereiche agieren auf der Bürgermeister-Ebene vor allem Männer. In Österreich kommen etwa auf rund 2100 Bürgermeister gerade einmal 141 Bürgermeisterinnen, das sind 6,7 Prozent. International ist das Verhältnis nicht viel anders: Organisation United Cities and Local Governments (UCLG) hält fest, dass weniger als 5% der Bürgermeister-Ämter mit Frauen besetzt, und auch bei den Gemeinderäten kommen Frauen nicht über die 20% hinaus. Gender-Gerechtigkeit auf der lokalen Ebene mache einen großen Unterschied; so lasse sich eine positive Korrelation zwischen einer weiblichen Präsidentin des lokalen Rates und der deutlich höheren Anzahl von Trinkwasserprojekten in Indien genauso nachweisen wie in Norwegen zwischen der Vertretung von Frauen in Gemeinderäten und den vorhandenen Kinderbetreuungsmöglichkeiten.
Die Globale Agenda von UCLG fordert daher eine gesteigerte Mitwirkung von Frauen an lokalen Entscheidungsprozessen, um gleiche Vertretung sicherzustellen und die Agenda 2030 erfolgreich umzusetzen. Gleichheit zwischen Frauen und Männern müsse prioritär angegangen werden; und damit verbunden die Bereitstellung von Dienstleistungen, die geeignet sind, die Lebensumstände von Frauen und deren Empowerment zu begünstigen. Die Welt müsse schließlich sicherer für Frauen werden, die allen möglichen Arten von Gewalt, inklusive in bewaffneten Konflikten ausgesetzt sind.
Was kann der Einzelne/die Einzelne nun tun, um dazu beitragen, dass unsere Gemeinde und Städten nachhaltig funktionieren?
Viele Einzelmaßnahmen können ergriffen werden, um ressourcen-schonender zu wirtschaften, Abfälle zu vermeiden, öffentlichen Verkehr dem Auto vorzuziehen und vieles mehr, um die Treibhausgas-Bilanz zu verbessern. Gespräche mit den lokalen Politikern – Bürgermeister und Gemeinderäten – sind leichter zu führen als mit jenen auf der nationalen Ebene. BürgerInnen-Initiativen können neue Wege eröffnen. Die „5 Pfade von ICLEI“ können Inspiration geben, ebenso die Ansätze des Klima-Bündnisses. Wichtig erscheint mir dabei, dass wir – bei aller Bedeutung, die Ökologie hat – nicht auf die soziale Dimension vergessen. Nachhaltig und zukunftsfähig sind Städte und Gemeinden nur, wenn sie es auch für die wirtschaftlich Schwachen und die Minderheiten – welcher Art auch immer – sichere Räume und Entwicklungsmöglichkeiten bieten.
Neben den Einzelmaßnahmen gibt es auch systematischere Ansätze, die ganzheitliche Übergänge zu nachhaltigeren Wirtschaftsformen fördern sollen. Die Kärntner Gemeinde Friesach etwa hat sich auf diesen Prozess eingelassen (siehe www.friesach-im-wandel.at). Dabei sind u.a. eine Obst-Allmende entstanden, ein Gemeinschaftsacker und Wurzgarten, ein „Kost-Nix-Laden“ und „Essen-Retten-und-Teilen“. „Friesach ist nicht nur die älteste Stadt in Kärnten, es ist auch die erste „Transition Town“ des Bundeslandes. Hierbei geht es um Initiativen und Projekte, welche das Gemeinwohl, die Nachhaltigkeit, Kooperation und ökologisches Bewusstsein im Fokus haben. Das gemeinsame Ziel ist eine Welt, wie man sie unseren Kindern wünscht“, heißt es in der Stadtzeitung Friesach vom November 2018.
Ähnliche ganzheitliche Ansätze, um den Übergang zu größerer Nachhaltigkeit zu beschleunigen, wählen auch einzelne Ordensgemeinschaften, wie etwa die Benediktinerabtei Michaelbeuern, die sich mit Hackschnitzelheizwerk, Biogasanlage, und Photovoltaikstrom wärmetechnisch selbst versorgen kann.
Anregungen für Übergänge zu größerer Nachhaltigkeit finden sich auch auf der Website der deutschen Transition Initiativen.
Wie sehr sich das Verständnis für die beste – menschengerechteste, umweltfreundlichste und wirtschaftlich nutzbringendste – Art, Städte zu bauen in den letzten Jahrzehnten geändert hat, fällt mir durch meinen derzeitigen Posten in Brasilia besonders auf. Die Planer der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, nach deren Vorgaben Brasilia mitten in der menschenleeren Steppe (dem sog. Cerrado) Zentral-Brasiliens errichtet wurde, erdachten ihre „Stadt der Zukunft“ als Stadt des Autos; so gibt es Schnell-Straßen und Parkplätze in großer Zahl, aber keine Orte für zwanglose, spontane menschliche Begegnung, wie wir es von Dorfplatz und Kirchenwirt kennen. Wenn wir heute von „zukunftsfähigen Städten“ sprechen, denken wir dagegen an barrierefreien öffentlichen Verkehr und gute Infrastruktur (Energie, Abwasser, etc.) , flächendeckende Dienstleistungen der Gemeinde, öffentliche Sicherheit für alle, leistbare Nah-Erholungs- und Freizeitmöglichkeiten und Freiräume für Kinder und Jugendliche. Seestadt Aspern, das große Wiener Stadterneuerungsprojekt, wird in diesem Zusammenhang oft und mit großem Interesse von internationalen Delegationen besucht.
[1] Die deutsche Version von SDG 11 findet sich z.B. auf https://www.eda.admin.ch/agenda2030/de/home/agenda-2030/die-17-ziele-fuer-eine-nachhaltige-entwicklung/ziel-11-staedte-und-siedlungen-inklusiv-sicher.html
[2] https://data.worldbank.org/indicator/sp.urb.totl.in.zs
[3] https://www.un.org/development/desa/en/news/population/2018-revision-of-world-urbanization-prospects.html
[4] Hochrangiges Panel der VN zur Vorbereitung der Nachhaltigkeitsziele.
[5] http://eastasia.iclei.org/activities
[6] https://worldcongress2018.iclei.org/world-congress-2018/, p. 8
Autorin

Irene Giner-Reichl
seit 1982 im Höheren Auswärtigen Dienst Österreichs; 2012 – 2017 Botschafterin in Peking; derzeit Botschafterin in Brasilien; Arbeitsschwerpunkte: Nachhaltige Entwicklung und globale Fragen, Entwicklungszusammenarbeit, internationale Kooperation zu Energie und Gender; Autorin von Artikeln und Sachbüchern zu Nachhaltigkeit, Entwicklung und Spiritualität; Ausbildung und Praxis in Begleitung von Personen und Prozessen; zertifizierte Yogalehrerin.