MuslimInnen gegen Antisemitismus

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Die mehrfache Verunstaltung und Zerstörung von Bildern der Holocaustüberlebenden am Wiener Ring zeigt, dass Antisemitismus kein Phänomen der Vergangenheit darstellt, sondern bis heute ein reales Problem darstellt.
Es ist sehr einfach, Antisemitismus als Problem der Juden und Jüdinnen darzustellen. Das führt dazu, dass die Beschäftigung mit der eigenen Geschichte des Holocausts aber auch der Gegenwart, in der antisemitische Denkweisen, Äußerungen und Handlungen stattfinden, nicht für notwendig oder als veraltet betrachtet werden.

Gleichzeitig entfernt es jegliches Gefühl der Verantwortung gegenüber seinen jüdischen Mitmenschen. In den letzten Jahren wird häufig die Strategie gewählt, alles Mögliche an verschiedene Minderheiten zu delegieren und sie z.B. als die Verantwortlichen oder Verursacher des gegenwärtigen Antisemitismus darzustellen, während antisemitische „Einzelfälle“ regelmäßig unter den Teppich gekehrt werden.

Bereits im Frühjahr 2017 haben wir die angestoßene Debatte rund um den sogenannten „islamischen Antisemitismus“ verfolgt und diesen gemeinsam reflektiert. Im öffentlichen Diskurs wurde davon gesprochen, dass Geflüchtete den Antisemitismus nach Österreich bringen. Es gäbe eine latente Judenfeindlichkeit, die von MuslimInnen ausginge. Solche Aussagen empfanden wir verzerrend und einer differenzierten Betrachtung von Antisemitismus in unserem Lande nicht würdig.

Den Versuch Antisemitismus auf andere Gruppen zu delegieren, gleichzeitig über den Anstieg des Antisemitismus in der gesellschaftlichen Mitte sowie in den rechtsextremen Gruppen zu schweigen, konnten wir nicht einfach so hinnehmen.
Für uns ist klar, es gibt auch unter MuslimInnen Antisemitismus und diese Problematik kann und darf nicht geleugnet werden. Jedoch sie als Hauptverursacher darzustellen entspricht einer Verzerrung und ist für die Bekämpfung des Antisemitismus wenig hilfreich. Es benötigt hier vielmehr eine klare und nüchterne Betrachtung der Problematik. So haben wir uns in der Verantwortung gesehen, etwas zu unternehmen, uns an der Debatte zu beteiligen und eine Auseinandersetzung innerhalb der muslimischen Community zu ermöglichen.

Nach einer intensiven Vorbereitung mit Expertinnen und Experten, die sich in ihrer Arbeit mit Antisemitismus beschäftigten, konzipierten wir ein Projekt, welches aus drei Säulen bestand:

Bildung, Begegnung und Gedenken.

Diese drei Ebenen sind unserer Meinung nach für eine ganzheitliche Prävention sowie Bekämpfung von Antisemitismus essenziell. Um Antisemitismus in seiner Gesamtheit zu erfassen benötigt es Wissen, Wissen über die historischen Formen des Antisemitismus, Verständnis seiner Wirkungsweisen in der Vergangenheit sowie Gegenwart. Dafür luden wir ExpertInnen ein, die ihr Wissen im Rahmen von Workshops und Vorträgen zu Verfügung stellten. Ein besonderes Ereignis stellte das Gespräch mit einer Zeitzeugin dar, die mit über 200 muslimischen Jugendlichen über ihre Verfolgung als jüdische Österreicherin sprach.

Begegnungsarbeit ist ein zentraler Aspekt unserer Jugendarbeit, so stellte sie auch eine tragende Säule im Projekt dar. Wir konnten damit einen Raum schaffen, in dem Juden und Jüdinnen und MuslimInnen einander begegnen und aufeinander zugehen konnten. Beispielsweise entstanden hier gemeinsame, koschere Fastenbrechen sowie Besuch eines Schabbat Mahls, welche wir auch nach dem Projekt fortsetzen möchten.
Die Begegnung von Einrichtungen und historischen Orten, wie etwa Museen, Gedenkstätten sowie Gebetshäuser führten dazu, dass muslimische Jugendliche einen weiten Einblick in das jüdische Leben in Österreich erhielten.

Besonders spannend war für uns zu sehen, dass muslimische Jugendliche sich für die Lebenswelt anderer marginalisierter Gruppen interessieren und ihre Geschichte und Gegenwart kennenlernen möchten. Uns war nicht klar, wie die muslimische Community auf diese intensive Beschäftigung mit dem Thema reagieren wird, vor allem kam häufig die berechtigte Frage auf, weshalb wir uns mit Antisemitismus beschäftigen, wo doch Islamophobie gerade einen so großen Raum in ihrer Lebensrealität einnimmt.

Hier ist wichtig zu betonen, dass gerade wir MuslimInnen als marginalisierte Gruppe gegen jede Art der Menschenfeindlich auftreten und uns für die Aufrechterhaltung der Menschenrechte eines jeden Menschen einsetzen müssen.
Antisemitismus hat in Österreich eine Jahrtausende lange Geschichte, weder die jüdische Gemeinde selbst wird es schaffen, Antisemitismus allein zu bekämpfen, noch die muslimische. Vielmehr müssen wir uns gesamtgesellschaftlich damit auseinandersetzen und gemeinsam daran arbeiten, dass Antisemitismus keinen Platz in unserer Gesellschaft findet.

Eine fundierte Auseinandersetzung mit Antisemitismus führt dazu, dass Menschen diesem Thema gegenüber sensibler werden und sich stärker für Menschenrechte einsetzen. In diesem Kontext kann man die rasche Reaktion und Bereitschaft unserer Jugendlichen verstehen, die beschädigten Bilder am Wiener Ring Tag und Nacht zu bewachen. Sie verstanden es als ihre Verantwortung, die Bilder zu bewachen und sich solidarisch mit der jüdischen Gemeinde zu zeigen. Das Projekt war zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen, doch die aktive Solidarisierung hat hier ihren tatsächlichen Start gefunden.
Nun gilt es dieses Engagement in die gesamte Gesellschaft hineinzutragen.

Autorin

© Canan Yasar

Canan Yasar
ist Lehrerin an einer Wiener Volksschule und Bundesvorsitzende der Muslimischen Jugend Österreichs. Ihre Themengebiete umfassen Inklusion, sozialer Zusammenhalt, interreligiöser Dialog, Frauenrechte & Gleichstellung.