Im Dialog mit allen Menschen guten Willens: P. Johannes Schasching SJ

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Leben und Werk des Sozialethikers und Jesuiten Johannes Schasching (1917-2013) verlaufen fast parallel zum 20. Jahrhundert mit seinen politischen Umbrüchen und Katastrophen. Schaschings Geburtsjahr trifft mit der Russischen Revolution zusammen, in der sich aus kirchlicher Sicht die Gefahr des Sozialismus besonders deutlich zeigte. Am Ende seines Lebens standen die Herausforderungen unserer aktuellen Gegenwart. Für die katholische Kirche bedeutete dieses vergangene Jahrhundert eine besonders starke Herausforderung. Jahrhundertlang war die Kirche in Europa in enger Verbindung mit dem Staat die dominante moralische Autorität in einer bäuerlich-handwerklichen und ständisch gegliederten Gesellschaft. Die rasante Industrialisierung hat vor allem im 19. Jahrhundert zum Zusammenbruch dieser bisherigen Welt geführt. Die dramatische soziale Lage zeigte sich vor allem im verarmten Proletariat in den Städten und dem anwachsenden Klassengegensatz. Politisch formierten sich schon in der Mitte des 19. Jahrhunderts sozialistische Bewegungen, die mittels des Klassenkampfes dem Elend abhelfen wollten. In der katholischen Kirche rangen unterschiedliche Gruppen um eine Antwort auf die immer drängendere „soziale Frage“.

Im Dialog mit der Industriegesellschaft

Ein Teil der Kirche wollte sich der Industriegesellschaft und der kapitalistischen Marktwirtschaft verweigern. Andere Gruppen überlegten neue Wege, wie die Kirche wirksam werden konnte. Mit der Sozialenzyklika „Rerum novarum“ von Papst Leo XIII. (1891) begann die offizielle Tradition der katholischen Soziallehre. Dieses Rundschreiben betonte gegen den Manchesterliberalismus die soziale Aufgabe des Staates und das Recht der Arbeiter, sich selbst zu organisieren, traf aber keine Entscheidung im Richtungsstreit innerhalb der Kirche. Diese Entscheidung fiel dann vierzig Jahre später durch die Sozialenzyklika „Quadragesimo anno“ von Papst Pius XI. (1931). Mit diesem Rundschreiben öffnete sich die Kirche für einen konstruktiven Weg innerhalb einer marktwirtschaftlich und kapitalistisch organisierten Gesellschaft, indem sie das liberalistische Konkurrenzprinzip akzeptierte, sofern es von der „sozialen Gerechtigkeit“ (Sozialstaat) und der „sozialen Liebe“ (Kirche) begrenzt wird.

Es ist die von „Quadragesimo anno“ vorgegebene sozialrealistische Linie, die den zukünftigen wissenschaftlichen Weg Schaschings prägte. Nach philosophisch-theologischen sowie sozialwissenschaftlichen Studien promovierte er 1947 zum Doktor der Staatswissenschaften an der Universität Innsbruck. In genau diesem Jahr wird dem frisch ernannten Professor für Moraltheologie, Johannes Kleinhappl, durch den Jesuitenorden die weitere Lehre untersagt, weil er sich mit einer antikapitalistischen Position klar gegen „Quadragesimo anno“ positionierte. Auch wenn die Art und Weise dieser Absetzung kritisch zu beurteilen ist, war sie Folge der sich durchsetzenden sozialrealistischen Linie. Schaschings Sozialethik schließt an „Quadragesimo anno“ und – wie sein Buch Katholische Soziallehre und modernes Apostolat (1956) zeigt – an Papst Pius XII. an. Ab 1957 unterrichtet er als Soziologe und erster eigenständiger Professor das Fach Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät in Innsbruck.

So wie sich die katholische Kirche mit ihrer Soziallehre zur modernen Industriegesellschaft hin öffnet, so zeigt sich auch im Leben und Werk von Johannes Schasching eine deutliche Bereitschaft, sich auf die moderne Welt einzulassen. In seinen Innsbrucker Jahre finden sich genügend Spuren für jenes Aggiornamento der Kirche, das für das Zweite Vatikanische Konzil bestimmend wurde. Schasching problematisierte eine Traditionsverhaftung der Kirche, die sich vom Geist der modernen Welt abschotten wollte. In einem Artikel über Josef Biederlack SJ, der schon ab 1882 die soziale Frage an der Innsbrucker Fakultät aufgriff, bemängelt er dessen langes Zögern, sich dem Wahlrecht für Frauen zu öffnen. Die traditionell enge Verbindung von Staat und Kirche bedeutete in der Vergangenheit auch, dass der Staat mit seinen Zwangsmitteln kirchliche Vorschriften durchzusetzen versuchte. In seinem Buch Kirche und industrielle Gesellschaft von 1960 nennt er Beispiele solcher „Polizeiordnungen“. Selbst Fastenvorschriften wurden im 17. Jahrhundert in Österreich polizeilich verordnet. Mit der Trennung von Kirche und Staat gehörten diese „obrigkeitliche Religionskontrolle“ der Vergangenheit an. Schasching sah darin eine positive Entwicklung, weil sie eine Verfälschung der kirchlichen Sendung verhinderte. Im Konzil distanzierte sich die Kirche in der „Erklärung über die Religionsfreiheit“ endgültig von jedem staatlichen Zwang in religiösen Angelegenheiten.

Absage an den Festungskatholizismus

Im Gefolge des Konzils kam es zu einem verstärkten Ringen in der Kirche um die Haltung zur modernen Welt. Das betraf auch Schaschings eigene Ordensgemeinschaft, wie er in einem Artikel zur „Soziologie der Gesellschaft Jesu“ deutlich machte. Er setzte sich in diesem Beitrag mit einer soziologischen Untersuchung auseinander, die zwischen „Festungskatholizismus“ und „Humanismus“ unterscheidet. Schasching steht für eine Öffnung hin zur modernen Welt und eine Absage an den Festungskatholizismus. Aber auf einen bloß innerweltlichen Humanismus will er sich auch nicht festlegen lassen. Er betonte einen „gottgerichteten“ Sinn des religiösen Lebens, der sich nicht innerweltlich verwirklichen lässt. So wie Schasching hier die zu simple Polarität Festungskatholizismus – Humanismus aufbricht, so zeigt er sich generell als ein Mann des Ausgleichs und des Brückenbauens.

Koordinator und Kommentator der Soziallehre von Johannes Paul II.

1966 wechselte Schasching nach Rom, um an der Päpstlichen Universität Gregoriana zu unterrichten. Bis 1991 war er ein wichtiger Begleiter der Soziallehre von Papst Johannes Paul II. Seine Fähigkeit als Vermittler kam ihm bei der Koordination der Sozialenzykliken „Laborem exercens“ (1981) und „Centesimus annus“ (1991) entgegen. Zu den Enzykliken „Sollicitudo rei socialis“ (1987) und „Centesimus annus“ veröffentlichte er ausführliche Kommentare. In den Rundschreiben von Johannes Paul II. werden Grundgedanken des Konzils für die Soziallehre fruchtbar gemacht. Die bisher stark naturrechtlich geprägte Soziallehre betont nun viel stärker die biblische Heilsgeschichte. Parallel zu dieser Hinwendung zur Heilsgeschichte positioniert Johannes Paul die Soziallehre als eine theologische Sozialethik. Wichtig ist auch die klare Überordnung der Zivilgesellschaft über Staat und Markt. Schließlich setzte Johannes Paul II. die im Konzil erfolgte Öffnung der Kirche zu den anderen Konfessionen, Weltreligionen und auch den Menschen ohne religiöses Bekenntnis fort. In einem Punkt bezieht Johannes Paul II. hingegen wieder einen traditionelleren Standpunkt. Papst Paul VI. verkündete in „Octogesima adveniens“ (1971) das Ende einer für die ganze Welt immerwährend und von oben verkündeten Soziallehre, denn es sei nicht Aufgabe der Kirche „ein für alle gültiges Wort zu sagen oder allerorts passende Lösungen vorzuschlagen“. Johannes Paul II. distanzierte sich von dieser Absage an eine allgemein gültige Soziallehre.

In Schaschings Werk wird deutlich, dass er nicht mit allen Positionen von Johannes Paul II. voll übereinstimmte. In seinen Kommentaren zu den Enzykliken findet sich zwar kein direktes kritisches Wort, indirekt aber relativierte er einige Positionen des Papstes. So lässt sich eine Distanz zu einer theologischen Sozialethik spüren. Schasching blieb eher dem naturrechtlichen Ansatz verbunden und verstand sich als Sozialwissenschaftler, der sich nicht auch für theologische Fragen kompetent betrachtete. Deutlich zeigt sich Schaschings Distanz in der Abkehr des Papstes von „Octogesima adveniens“. Schasching erwähnt sie überhaupt nicht und betont in seinem Kommentar sogar die Kontinuität mit Paul VI. Mit Papst Franziskus wurde in „Evangelii gaudium“ die Position von Paul VI. – und damit auch von Schasching – inzwischen rehabilitiert.

Hinsichtlich des Dialogs mit Konfessionen, Weltreligionen und auch Menschen ohne religiösen Bekenntnis stimmt Schasching aber deutlich mit Johannes Paul II. überein. Immer wieder unterstreicht er die Notwendigkeit einer ökumenischen und auch interreligiösen Zusammenarbeit sowie die grundsätzliche „Verpflichtung zum Dialog“. Für Schasching begann mit der Soziallehre der Dialog der Kirche mit der Industriegesellschaft, der schließlich zu einem „Dialog mit allen Menschen guten Willens“ führte.

Sozialethischer Dialog in Österreich

Als Schasching 1991 nach Österreich zurückkehrte, konnte er sein Bemühen um den breiten gesellschaftlichen Dialog in seiner Mitarbeit am Sozialhirtenbrief der Katholischen Bischöfe Österreichs von 1990 und am Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich von 2003 fruchtbar machen. In beiden Dokumenten verwirklichte sich auch das in „Octogesima adveniens“ ausgedrückte Anliegen, dass es Aufgabe der „einzelnen christlichen Gemeinschaften“ sei, in ihren jeweiligen Ländern zusammen mit allen Menschen guten Willens die notwendigen Antworten auf die gesellschaftlichen Herausforderungen zu geben.

Autor:

Wolfgang Palaver - privat
W. Palaver

Wolfgang Palaver
Professor für Christliche Gesellschaftslehre an der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck; Arbeitsschwerpunkte: Gewalt und Religion; Demokratie; Katholische Soziallehre

 

 

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