Herausforderungen der europäischen Wirtschaft aus dem Blickwinkel der Katholischen Soziallehre

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Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI. hat mich anlässlich eines Besuches mit einer europäischen Wirtschaftsdelegation im Vatikan gefragt: „Herr Leitl, was ist für Sie das Wesen eines christlichen Europa?“.

Meine Antwort leitete ich von den Prinzipien der katholischen Soziallehre ab und meinte:

  1. Europa ist Vielfalt, ist Individualität aus der Kreativität hervorgeht, die wiederum zu Lebensqualität führt. Diese Individualität zu fördern liegt im Personalitätsprinzip begründet, in der Einzigartigkeit jedes Menschen, verbunden mit seinen Begabungen und Talenten.
  2. Der Einzelne ist jedoch eingebunden in eine Gemeinschaft und trägt dafür Verantwortung. Dies kommt im Solidaritätsprinzip zum Ausdruck. Sich einander zu ergänzen, einander zu helfen, das Miteinander anstelle des Gegeneinanders oder Nebeneinanders setzen, ist die uns gestellte Aufgabe.
  3. Europa darf und soll kein zentraler Staat sein. Die Bedeutung nicht nur der Nationen, sondern vor allem der Regionen ist entscheidend für den Stil und die Kultur des Lebens der Menschen. Das Subsidiaritätsprinzip zeigt diesen Weg, der eine Stärke Europas gegenüber so vielen anderen Teilen der Welt ist. Die kleinere Einheit gestalten zu lassen, ihr Freiräume für Entwicklungen und die damit verbundene Verantwortung zu übertragen, ist das Lebensmodell Europas.

Die europäische Wirtschaft versucht ihren Beitrag zur Verwirklichung dieser Prinzipien zu leisten: Die Personalität, die in so hervorragender Weise bei unseren unternehmerisch tätigen Menschen mit ihren Mitarbeitenden zu finden ist, die dabei ihre Begabungen und Talente entfalten und sich weiterbilden und weiterentwickeln können, um ihre Vorstellungen vom Leben erfüllen zu können. Die Solidarität, die es zwischen den unterschiedlichen Teilen unserer Gesellschaft geben muss um einer gemeinsam gestellten Verantwortung zu entsprechen.

Die europäischen Kohäsionsfonds stellen darüber hinaus einen solidarischen regionalen Ausgleich zwischen unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungsniveaus in Europa dar. Solidarität aber auch mit anderen Kontinenten, z.B. Afrika, um möglichst vielen Menschen eine Teilhabe an den Fortschritten und Ergebnissen der weltweiten Wirtschaft zu entwickeln. Und Subsidiarität bedeutet für die Wirtschaft das Mitgestalten regionaler Rahmenbedingungen in Bildung, Wissenschaft, Forschung und Infrastruktur, gleichzeitig aber auch die Übernahme einer regionalen Verantwortungsethik.

Joseph Ratzinger schien mit dieser Antwort recht zufrieden zu sein…

Autor

Dr. C. Leitl © wko kucera

Dr. Christoph Leitl,
Präsident des europäischen Wirtschaftskammernetzwerks EUROCHAMBRES und WKÖ-Ehrenpräsident