„Bis ihr handelt!“

Hochwasser in Venedig

Chancen und Grenzen der Spiritualität für den Klimaschutz

Das Jahr 2019 wird als Jahr einer breiten BürgerInnenbewegung für entschlossenen Klimaschutz in die Geschichte eingehen. In wenigen Tagen findet der vierte globale Klimastreik der Jugendlichen von Fridays For Future statt.

Die globalen Streiks mit Millionen von TeilnehmerInnen haben ihren Vierteljahresrhythmus gefunden und werden von Mal zu Mal größer. In die gleiche Richtung gehen die Aktionen der Bewegung „Extinction Rebellion“, die ebenfalls seit diesem Jahr mit gewaltfreiem Widerstand für den Klimaschutz eintritt: Sitzstreiks auf Straßenkreuzungen und vor Einkaufszentren legen Verkehr und Handel mitunter tagelang lahm. Schließlich reiht sich auch das österreichische Klimavolksbegehren (https://klimavolksbegehren.at/) in diese Bewegung ein: Klimaschutz in die Verfassung, Klimaneutralität bis 2040, ökosoziale Steuer- und Abgabenreform sowie ein Angebot nachhaltigen Verkehrs und sauberer Energie sind seine Ziele.

Die Zeit drängt!

Der Druck auf die Politik wird also größer, nach dreißig Jahren endlich etwas Substanzielles für den Klimaschutz zu tun. Denn die Zeit läuft davon. Je später wir etwas tun, umso teurer und schmerzlicher werden die nötigen Maßnahmen sein. „Noch ist es nicht zu spät“, mahnten Papst Johannes Paul II. von Rom und Patriarch Bartholomaios I. von Konstantinopel schon am 10.6.2002 in Venedig in einer dramatischen Botschaft an die Welt. Noch könne die Menschheit die Folgen des menschengemachten Treibhauseffekts auf ein erträgliches Maß begrenzen. Doch es bedürfe einschneidender Veränderungen, damit dies geschehe. Jetzt, nicht irgendwann. Heute, nicht morgen. Der Appell der beiden Kirchenführer liegt nun schon 17 Jahre zurück. Geschehen ist nichts. Im Gegenteil: Die Industrieländer emittieren heute sogar mehr Treibhausgase als damals.

Vier Grenzen des Planeten sind schon überschritten

Allerdings wissen wir heute, dass es nicht nur um Klimaschutz und Erhalt der Artenvielfalt geht, wie man 1992 bei der UN-Vollversammlung für Umwelt und Entwicklung in Rio dachte. Im Konzept der planetarischen Grenzen, das sich in den Naturwissenschaften seit 2009 etabliert hat (siehe Literaturliste), gehen wir von vier Belastbarkeitsgrenzen des Planeten Erde aus, die der Mensch durch sein Tun schon überschritten hat: Die Erwärmung des Klimas und die Änderung der Landnutzung befinden sich im hochriskanten Bereich, die Zerstörung der Artenvielfalt und die Entgleisung der Kreisläufe von Phosphor und Stickstoff liegen sogar bereits weit im katastrophalen Bereich (siehe Abbildung).

Ökologische Umkehr um 180 Grad

„Was gerade vor sich geht, stellt uns vor die Dringlichkeit, in einer mutigen kulturellen Revolution voranzuschreiten“, schreibt Papst Franziskus in der Enzyklika Laudato si (Nr. 114). Darin drückt er ein doppeltes Postulat aus: Erstens brauchen wir eine Revolution und nicht bloß ein paar kosmetische Korrekturen. Es geht wie im Umkehrruf Jesu um eine Kehrtwende von 180 Grad, weswegen Franziskus auch von der „ökologischen Umkehr“ spricht. Zweitens muss diese Revolution die gesamte Kultur moderner Industriegesellschaften umgreifen: Wie wir wirtschaften, wie wir konsumieren, wie wir leben und unsere Freizeit gestalten, nach welchen Werten wir streben – all das geht seit den 1950er Jahren in die falsche Richtung. Es braucht eine „große Transformation“, wie es das Hauptgutachten des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen (WBGU) der deutschen Bundesregierung aus dem Jahr 2011 nennt. In Zahlen ausgedrückt müssen die Menschen der wohlhabenden Länder dieser Erde ihre Ansprüche auf materielle Ressourcen um 80 bis 90 Prozent reduzieren – bis 2050! Kann das gelingen, und wenn überhaupt, wie?

Umkehr von innen heraus: Eine neue Spiritualität

Genau hier sieht der Papst den Beitrag der Religionen und damit auch seinen eigenen Beitrag. Die Absätze, in denen er seine Lösung andeutet, halte ich für die schönsten und dichtesten Abschnitt der Enzyklika. Sie lauten: „Die christliche Spiritualität schlägt ein anderes Verständnis von Lebensqualität vor und ermutigt zu einem… Lebensstil, der fähig ist, sich zutiefst zu freuen, ohne auf Konsum versessen zu sein… Es handelt sich um die Überzeugung, dass ‚weniger mehr ist‘. Die ständige Anhäufung von Möglichkeiten zum Konsum lenkt das Herz ab und verhindert, jedes Ding und jeden Moment zu würdigen. Dagegen öffnet das gelassene Sich-Einfinden vor jeder Realität, und sei sie noch so klein, uns viel mehr Möglichkeiten des Verstehens und der persönlichen Verwirklichung. Die christliche Spiritualität regt zu einem Wachstum mit Maß an und zu einer Fähigkeit, mit dem Wenigen froh zu sein. Es ist eine Rückkehr zu der Einfachheit, die uns erlaubt innezuhalten, um das Kleine zu würdigen, dankbar zu sein für die Möglichkeiten, die das Leben bietet, ohne uns an das zu hängen, was wir haben, noch uns über das zu grämen, was wir nicht haben.“

Mit anderen Worten: Es braucht eine Umkehr von innen heraus, aus freien Stücken und nicht gezwungen, mit Freude und nicht mit zusammengebissenen Zähnen. Denn wenn wir nur gezwungenermaßen ökologisch zu leben versuchen, werden wir schnell widerspenstig werden und dann erst recht viel Auto fahren oder in den Urlaub fliegen, erst recht ökologisch sündigen und das als Befreiung erleben. Zwang schlägt ins Gegenteil dessen um, was beabsichtigt ist. Eine Umkehr von innen heraus, so der Gedanke des Papstes, kann daher nur wachsen aus einer tiefen Freude über die Schöpfung. Aus dem Staunen über den unermüdlichen Fleiß einer Ameise und das wunderbare Liebesduett eines Singvogelpärchens. Aus der Faszination über die Widerstandskraft der Flechte auf einem Felsgipfel in 3000 Meter Meereshöhe und die kühlende Wirkung einiger Laubbäume in der Sommerhitze einer Großstadt. Eine solche Freude an der Schöpfung paart sich schnell mit einer tiefen Dankbarkeit dafür, dass wir Menschen das alles bewusst erleben dürfen und darin aufgehoben sind.

Umweltfreundlichkeit muss sich lohnen

Viele Menschen sind bereits von einer solchen Liebe zur Schöpfung erfüllt. Und doch stoßen sie tagtäglich an Hindernisse, diese in praktisches Handeln zu übersetzen. Sie möchten mit dem öffentlichen Verkehrsmittel fahren, aber das steht ihnen in der gewünschten Verbindung nicht zur Verfügung. Sie möchten umweltfreundliche Produkte kaufen, können deren „ökologischen Rucksack“ aber nicht erkennen. Sie konsumieren ökologische Produkte, wo diese gekennzeichnet sind, zahlen dafür aber viel mehr als für umweltschädliche Alternativen. Hier stoßen Unternehmen wie VerbraucherInnen gleichermaßen an Grenzen: Die ökologischen Folgekosten werden bislang nicht den VerursacherInnen angelastet, sondern der Allgemeinheit. Preise von Produkten sprechen nicht die ökologische Wahrheit.

Aus diesem Grund wird schon seit Mitte der 1980er Jahre (!) die Forderung einer ökologisch-sozialen Steuerreform erhoben. Ihr hat sich 2003 auch das Sozialwort der österreichischen Kirchen angeschlossen. Dort heißt es: „Für eine Neuorientierung braucht es entschiedene Maßnahmen wie: … teilweisen Konsumverzicht, fairen Handel, Marktpreise, die …auch die ökologischen Kosten widerspiegeln, … sowie eine ökologische Steuerreform.” (Absatz 292) Wer Treibhausgase in die Atmosphäre bläst, soll dafür ebenso zahlen wie der, der die Gewässer mit chemischen Stoffen belastet oder die Artenvielfalt bedroht.

Umweltverbräuche verteuern – Sozialbereich entlasten

Nun könnte man befürchten, dass das Leben durch eine Ökosteuer noch teurer wird als es ohnehin schon ist. Das wollen die Architekten einer solchen Steuerreform unter allen Umständen verhindern. Die Mehreinnahmen des Staates aus der Ökosteuer sollen den BürgerInnen im Sozialbereich eins zu eins zurückgegeben werden. Wenn das geschickt angelegt wird, können gerade die GeringstverdienerInnen und SozialhilfeempfängerInnen von einer solchen Steuerreform profitieren. Zwei Ziele werden mit einer einzigen Maßnahme erreichbar.

https://de.wikipedia.org/wiki/Planetare_Grenzen#cite_note-:2-28

Der Druck auf die Politik wird größer, nach dreißig Jahren endlich etwas für den Klimaschutz zu tun. Aber Vorsicht! Der Erfolg ist trotz der enormen Breite der gesellschaftlichen Initiativen noch nicht garantiert. Es gilt daher, nicht locker zu lassen. Oder, wie es ein Slogan der Fridays For Future ist: „Wir streiken, bis ihr handelt!“

Autor

M. Rosenberger © S. Stöckl

Michael Rosenberger, Universitätsprofessor für Moraltheologie an der Katholischen Privatuniversität Linz und Umweltsprecher der Diözese Linz. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Umwelt- und Tierethik sowie Theologie der Spiritualität.

 

Literatur

Papst Franziskus 2015, Enzyklika Laudato si über die Sorge für das gemeinsame Haus, Rom. http://w2.vatican.va/content/francesco/de/encyclicals/documents/papa-francesco_20150524_enciclica-laudato-si.html

Johan Rockström et al. 2009, Planetary Boundaries: Exploring the Safe Operating Space for Humanity, in: Ecology and Society 14 (2), Issue 32. https://science.sciencemag.org/content/347/6223/1259855

Johan Rockström et al. 2009, A safe operating space for humanity. Identifying and quantifying planetary boundaries that must not be transgressed could help prevent human activities from causing unacceptable environmental change, in: Nature 461, 472-475. https://www.nature.com/articles/461472a.pdf

Michael Rosenberger 2019, Was die Uhr geschlagen hat…, in: Feinschwarz.net – Theologisches Feuilleton vom 25.3.2019. https://www.feinschwarz.net/was-die-uhr-geschlagen-hat/

Michael Rosenberger 2019, Heiße Zeit. Warum wir eine neue ethische und spirituelle Ausrichtung brauchen, in: Denken + Glauben 193, 4-7. https://khg.graz-seckau.at/upload/file/default/denken-und-glauben-193_heisse-zeit_web_aktuell.pdf

Will Steffen et al. 2015, Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet, in: Science 347, Issue 6223. https://science.sciencemag.org/content/347/6223/1259855

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung  Globale Umweltveränderungen (WBGU) 2011, Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin. https://www.wbgu.de/fileadmin/user_upload/wbgu/publikationen/hauptgutachten/hg2011/pdf/wbgu_jg2011.pdf