Anerkennung – der Schlüssel im Projekt „Sinnvoll Tätig Sein“

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Im April dieses Jahres begannen wir mit 44 seit längerer Zeit Arbeit suchenden Personen ein Experiment: Das AMS NÖ bewilligte uns, die Betroffenen für 18 Monate aus der Vermittlung zu nehmen: d.h. sie haben keine Verpflichtung, Bewerbungen abzuschicken oder an Kursen teilzunehmen, sie konzentrieren sich allein darauf, was sie tun wollen.  1 % der Bevölkerung von Heidenreichstein nimmt damit daran teil. Bedingung: Was willst du von Herzen gerne tun? Die Beantwortung dieser Frage und die Bereitschaft das Gewählte in die Gesellschaft einzubringen. Ziel des Projekts: Schauen, was sich für die einzelnen Personen ändert und in der Folge für die Stadt. Auch wenn es ein Spagat zwischen Arbeitsmarkt und der Vision eines Grundeinkommens ist, wir hoffen für Letzteres Argumente aufzeigen zu können. Die TeilnehmerInnen beziehen während dieser Zeit weiterhin ihre Arbeitslosenunterstützung.

In den letzten Wochen wurde uns oft die Frage gestellt, was denn der wesentliche Punkt in unserem „Experiment“ sei. Die Antwort liegt in einem einzigen Wort: Anerkennung! Anerkennung hat eine Voraussetzung, nämlich eine Atmosphäre ohne Druck und Rechtfertigung. Es gibt allerdings auch eine Konsequenz und die heißt Eigenverantwortung.

Den Druck nehmen

Arbeitslosigkeit erzeugt Druck, am größten seitens der Gesellschaft. Die obligate Frage bei Begegnungen, was man denn jetzt beruflich mache, drängt in die Isolation. Niemand will als Versager dastehen, vor allem wenn der Zustand der Arbeitslosigkeit schon länger andauert. Dazu kommen die Termine beim AMS. Allzu oft erleben wir, dass Menschen schon Tage zuvor in „alle Umstände“ verfallen, wenn sie die Notstandshilfe verlängern müssen, aber auch jeder Kontrolltermin verunsichert.

Generell steigen die Ängste. Je länger die Zeit der Arbeitslosigkeit dauert umso mehr, sogar vor einer eventuellen Zusage: Kann ich auf dem neuen Arbeitsplatz bestehen? Was ist, wenn ich versage? Was sagen dann die Leute? Wer verzweifelt ist braucht keine ethischen Vorwürfe und keine Paragrafenordnung, er braucht Menschen, die mehr an ihn glauben als er je an sich selbst zu glauben vermocht hat.

Die Befreiung von Ängsten und Druck ist ein Prozess. Trotzdem: 18 Monate von den Vorgängen rund um die Arbeitssuche befreit sein, Zeit  haben sich auf sich selbst zu konzentrieren. Für manche bedeutet das zum ersten Mal in ihrem Leben sich die Frage zu stellen: Was ist mein Weg? Generell ist das für alle eine neue Lebenssituation. Die Frage, was denn jetzt wirklich zu tun ist, verunsichert. Denn es stellt den Arbeitsbegriff auf den Kopf: Arbeit war bisher etwas, was jemand aus einem ökonomischen Interesse heraus von mir verlangt und ich, indem ich es tue, dafür entlohnt werde. Nun heißt es: Entwickle deine Fähigkeiten und teile sie mit anderen, indem du sie in die Gesellschaft einbringst! Wie mühsam das ist erfahren alle. Es als Arbeit zu bezeichnen gelingt den meisten vorerst nicht.

Anerkennung

Kein Mensch kommt ohne Anerkennung aus. Es gehört zum Menschsein dazu. Wir erfahren sie von klein auf durch Lob. Alle sind stolz, wenn sie etwas schaffen und der Zuspruch der anderen stärkt den Rücken. Die Erwähnung im Freundeskreis, das Bild in der Lokalzeitung, die Verleihung des Ehrenzeichens im Verein, … sind nur einige Beispiele. Gleichzeitig ist die Verweigerung von Erwerbsarbeit und langanhaltender Arbeitslosigkeit ein Ausschluss aus der Gesellschaft und damit Verweigerung von Anerkennung. „Wenn du arbeitslos bist, bist du draußen!“ stellt ein Teilnehmer des Projektes fest.

Im Gegensatz dazu geht es uns zunächst nur darum zum Ausdruck zu bringen: Hier brauchst du dich nicht zu rechtfertigen. Du bist! Dein Bemühen, dein Tun wird von uns keiner Wertung unterzogen. Hier bist du als Mensch geschätzt und wir haben die Zeit zu schauen, was du brauchst und machen uns gemeinsam auf den Weg. Wir nehmen uns Zeit und hören zu.

Das scheint selbstverständlich zu sein, ist es aber nicht. Wir machen hier einen riesigen Lernprozess: Denn zu den TeilnehmerInnen zählen auch Personen, denen ein Ruf vorauseilt. Nun sitzen wir uns gegenüber, auf Augenhöhe, und wir erfahren ihre Lebenssituation aus einer anderen Perspektive, erfahren auch von ihren Anstrengungen dieses Leben zu bewältigen. Dafür sind die Voraussetzungen so verschieden wie die Menschen. Dabei erkennen wir: wir schütteln unsere Herkunft nicht ab. Dem gilt es Rechnung zu tragen. Damit entsteht aber gleichzeitig eine Vielfalt, die eindrucksvoll ist, weil es keine Norm gibt und die Vorgaben des Projektes für jede(n) anders gelten. Für uns gilt es überkommene Vorurteile und Bilder zu korrigieren.

Eigenverantwortung

Wie auch bei AMS-Maßnahmen wurde die Frage gestellt: „Was ist, wenn ich nicht …?“ Nun, was ist? Wenn jemand bei Treffen fehlt, dann gehen wir nach. Wir hinterfragen und sind ständig im Gespräch mit jeder/m Einzelnen. Aber die Frauen und Männer tun es nicht unseretwegen oder weil sie Bedingungen erfüllen müssen. Darauf legen wir Wert! Sie tun es zunächst ausschließlich für sich und erst später auch für andere. Daraus entsteht eine neue Freiheit des Handelns, das über die eigene Person hinausgeht. Dadurch entstehen soziale Kontakte, dadurch gibt es Rückmeldungen, gegenseitige Hilfestellungen und schließlich wiederum Anerkennung. Und damit ist ein wichtiger Antrieb für soziales Handeln gegeben. Allerdings sind unter diesen Voraussetzungen die Bedingungen andere: Es ist nicht die Suche und der Kampf um Anerkennung, sondern Anerkennung ist die Antwort auf ein erfülltes Tun. Und die Verantwortung dafür liegt auch bei jeder/m Einzelnen. Dafür braucht es Strukturen, Vertrauen und Wertschätzung.

Literatur

Bourdieu, Pierre: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft. Frankfurt am Main 1982

Eribon, Didier: Rückkehr nach Reims. Berlin 2016

Honneth, Axel: Kampf um Anerkennung. Zur moralischen Grammatik sozialer Konflikte. Frankfurt/Main 1984

Link

Waldviertler Alternativen

Autor

Karl Anton Immervoll
K. Immervoll

Karl Anton Immervoll
Theologe, Schuhmacher und Musiker,
Betriebsseelsorger für das obere Waldviertel. Gründung zahlreicher Initiativen gegen die Arbeitslosigkeit: Waldviertler Schuhwerkstatt, Greißlerei in Heidenreichstein, Lehrlingsstiftung Eggenburg u.a., Lehrauftrag an der Lehranstalt für pastorale Berufe in Wien.