Anpassung an den neoliberalen Arbeitsmarkt oder Erweiterung der Handlungskompetenzen der Betroffenen?
Frauen sind zu einem überproportionalen Ausmaß in so genannten „atypischen Beschäftigungsformen“ und in schlecht entlohnten Branchen tätig. Auch für gleiche und gleichwertige Arbeit verdienen Frauen oft weniger als Männer. Geringe Erwerbseinkommen ziehen geringere Leistungen aus Arbeitslosenversicherung und Pensionsversicherung nach sich. Lernen steigert die Beschäftigungsfähigkeit von Frauen (und Männern) und ermöglicht eine berufliche Umorientierung. Nur durch konsequente und kontinuierliche Wissenserweiterung sind fachliche Kompetenzen erwerbbar. Parallel dazu braucht es auch Strategien und Maßnahmen, die den Grad an Autonomie und Selbstbestimmung im Leben von Menschen erhöhen.
Lebenslanges Lernen
Die berufliche Umorientierung und die Eröffnung neuer Perspektiven und Möglichkeiten ist abz*austria ein Anliegen. Dabei geht es auch um die Wahl nicht traditioneller Bildungsangebote für Frauen, denn Aus- und Weiterbildungen in diesen Bereichen ermöglichen nicht nur zukunftsträchtige Beschäftigungen, sondern in der Regel auch höhere Einkommen und damit auch passende zeitliche Gestaltungsmöglichkeiten.
Wir wissen aus der Beratung, dass viele Frauen im Einzelhandel arbeiten wollen, aber die Arbeitszeiten inkludieren Dienste bis 20 oder 21 Uhr und auch Samstage. Ähnliches sehen wir im Bereich Pflege, wo es eine Kurzausbildung zur Heimhilfe meist mit Jobgarantie gibt. Für viele Frauen mit Betreuungspflichten ist dieses Berufsfeld jedoch nicht machbar, da es geteilte Dienste sowie Wochenend- und Feiertagsdienste beinhaltet.
Weiterbildung in der Arbeitszeit – geschlechtsspezifische Benachteiligung
Die Zeitfrage stellt sich auch bei Qualifizierungsmaßnahmen und Ausbildungen. So sind in Österreich Lehren für Erwachsene nur in Vollzeit möglich. Damit ist die Barriere, eine Lehre zu absolvieren für Frauen (und Männer) mit Betreuungspflichten häufig sehr groß. Darüber hinaus zeigen die Zahlen der Statistik Austria, dass Frauen – obwohl sie die Männer zahlenmäßig bei den Sekundär- und Tertiärausbildungen überholt haben – in Österreich mit 29% weniger an beruflicher Weiterbildung teilnehmen als Männer (34%). Männer haben zudem mehr Möglichkeiten, sich in der Arbeitszeit beruflich weiterzubilden. Ein Unterschied, der in anderen Ländern wesentlich geringer ist.
Und dazu kommt noch, dass – auch im internationalen Vergleich – niedrig qualifizierte Frauen besonders stark benachteiligt sind, wenn es um berufliche Weiterbildungsmöglichkeiten geht. Sie sind also doppelt benachteiligt: Als Frauen, und als niedrig Qualifizierte. Hier lässt sich also ein dringender Handlungsbedarf in Puncto Qualifizierung – vor allem für niedrig qualifizierte Frauen – ableiten.
Gleichzeitig muss man sich aber auch vor Augen führen, dass Bildung zwar eine Möglichkeit beim Zugang zum Arbeitsmarkt bietet, aber noch lange kein Garant ist, sondern mehr eine Mindestvoraussetzung. Genauso ist es mit Qualifizierungsmaßnahmen. Auch diese können neue Handlungskompetenzen eröffnen, aber nicht garantieren.
Vereinbarkeit Beruf/Familie/Privatleben am Beispiel Home Office
Home Office erspart ganz konkret die Zeit für den Anfahrtsweg zum Arbeitsplatz. Diese Arbeitsform ist vor allem attraktiv für Wissensarbeiterinnen und höher Qualifizierte. Gleichzeitig schafft die neue digitale Arbeitswelt aber auch nur dann einen Mehrwert, wenn Unternehmen sehr achtsam mit diesen neuen Möglichkeiten umgehen. Nicht jede Mitarbeiterin/jeder Mitarbeiter kann mit der Auflösung von Grenzen zwischen Arbeitszeit und Freizeit gut umgehen. Zeit wird im schlechtesten Fall zu einer auszubeutenden Ressource, die dann verstärkt individuell organisiert und koordiniert werden muss. Wenn aber das neue Arbeiten, die tatsächlich freie Zeiteinteilung abseits vom „Anwesenheitsfetischismus“ hin zu einem an Ergebnissen orientierten Tun gelingt, eröffnen sich auch neue Möglichkeiten für ArbeitnehmerInnen. Es gibt dann ein großes Potenzial für Vereinbarkeit, weil neue Technologien flexiblere Arbeitszeiten unterstützen können.
Generation Y
Wie dringend ein Hinterfragen des neoliberalen Zeitregimes nötig ist, zeigen auch aktuelle Studien zur Generation Y. Bei keiner Generation war die Work-Life-Balance bisher ein so großes Thema wie bei den zwischen 1980 und 1995 Geborenen. Junge ArbeitnehmerInnen wollen sich häufig nicht mehr vorschreiben lassen, wann und von wo aus sie arbeiten sollen. Flexible Arbeitszeiten und Arbeitsorte, Selbstbestimmung und Sinnstiftung haben bei ihren Erwartungen an den Job Priorität – finanzielle Sicherheit und Prestige nehmen hingegen in ihrer Bedeutung ab. Dies stellt viele Unternehmen vor große Herausforderungen und bedarf einer konstruktiven Auseinandersetzung mit dem Thema Zeit in der Arbeitswelt.
Neue Führungsmodelle/Frauen in Führungspositionen
Gleichzeitig wird sich, laut Zukunftsforscher Matthias Horx, „die Karrierewelt aber erst verändern, wenn eine kritische Masse an Frauen in Chefetagen eine generell andere Zeitkultur durchsetzt – in Kooperation mit starken Männern, die auch kein Interesse mehr daran haben, mit ihrer Familie nur noch auf diplomatischem Wege zu verkehren. Erst dann wird man verstehen, dass langes Hocken in Büros keine bessere, sondern schlechtere Leistungen aus Arbeitslosenversicherung und Pensionsversicherung nach sich ziehen.“
Leadershipmodell: Top Job Sharing
Bei abz*austria ist die Geschäftsführung auf zwei Personen aufgeteilt. Top Job Sharing ist ein partnerschaftliches Führungskonzept mit neuen Formen der Entscheidungsfindung, bei dem zwei Führungskräfte gemeinsam eine Position bekleiden und gleichberechtigt ein Team führen. Gerade weil die Anforderungen an Führungskräfte immer komplexer werden und der – auch zeitliche – Druck wächst, braucht es neue Leadership Modelle. So lässt sich die Verantwortung einer Führungsposition mit Familie und Privatleben vereinbaren, was wiederum zu einer gesteigerten Zeitsouveränität der beiden Führungskräfte und einer besseren Work-Life-Balance führt.
Zeitempfinden
Die Psychologie definiert Zeit als eine Dimension der Wahrnehmung des Erlebens. Zeit ist somit immer an Ereignisse gebunden, die Menschen erleben, die sie beeinflussen oder an denen sie sich orientieren. Folgen viele Ereignisse schnell aufeinander, dann wird die vergehende Zeit als kurz empfunden. Physikalisch gleich lange, ereignislose Zeiträume, die mit Routinearbeiten gefüllt sind, werden dagegen als lang wahrgenommen.
Wir wissen auch, dass diese Wahrnehmung etwas damit zu tun hat, dass langzeitarbeitslose Menschen oft krank und verzweifelt sind. Schon aus diesem Grunde braucht es adäquate Qualifizierungsmaßnahmen, die für diese Menschen neue Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt eröffnen.
Geschlechtsspezifische Verteilung von unbezahlter und bezahlter Arbeit
Nach wie vor besteht bei der Hausarbeit geschlechtsspezifische Arbeitsteilung: 92% der Frauen und 74% der Männer verrichten Haushaltsarbeiten. Auch bei Erwerbstätigen liegt der Hauptanteil der Haus- und Erziehungsarbeit bei den Frauen. 67,3% der Frauen mit Kind sind in Teilzeitbeschäftigung (Statistik Austria) und zwei Drittel der unbezahlten Arbeit hängt an den Frauen. Deshalb ist auch in Zeiten des digitalen Wandels eine grundlegende Umverteilungsfrage von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern keinesfalls obsolet. Gerade in Umbruchsphasen sollte sie verstärkt gestellt werden. Nach wie vor ist in Österreich fast jede zweite Frau teilzeitbeschäftigt, aber nur knapp jeder zehnte Mann.
Vollzeitbeschäftigte Frauen sind meist höher gebildet und in höher qualifizierten Tätigkeiten als teilzeitbeschäftigte Frauen. Im Gegensatz dazu sind es meist Männer in hochqualifizierten Jobs, die in Teilzeit arbeiten – dies führe ich unter anderem darauf zurück, dass diese Männer auch in Teilzeit ausreichend verdienen, wohingegen die Teilzeitarbeit für Frauen häufig mit einer Existenzbedrohung einhergeht.
Familienarbeitszeit
In Deutschland wird schon seit längerem die sogenannte Familienarbeitszeit diskutiert. Eltern von kleinen Kindern sollen einen Zuschuss erhalten, wenn beide Eltern eine hohe Teilzeit (mindestens 28 bis maximal 36 Stunden) Wochenarbeitszeit realisieren. Solche Ansätze sollten auch in Österreich diskutiert werden. Die reine Reduzierung der Wochenarbeitszeit, z.B. auf 30 Wochenstunden, bringt meiner Meinung nach noch keine gerechtere Aufteilung der unbezahlten Arbeit mit sich, da müssen wir auch gesetzliche Regelungen dazustellen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, es braucht also nicht nur Qualifizierungsmaßnahmen, um Handlungskompetenzen für Frauen und auch für Männer zu erweitern. Es braucht auch strukturelle Veränderungen und ein Bewusstsein bei Unternehmen in Sachen neue Arbeitszeit- und Arbeitsorganisationsmodelle, neue Führungsmodelle und neue Arbeitskulturen, um die vielzitierten Win-Win Lösungen für alle zu schaffen und zeitliche Gestaltungsspielräume zu ermöglichen.
Autorinnen:

Manuela Vollmann
ist Geschäftsführerin von abz*austria.
Sie war Impulsgeberin der 2. Zeit_Werkstatt der ksoe am 22.2.2017 in Wien zum Thema „Zeit und Qualifizierungsmaßnahmen. Anpassung an den neoliberalen Arbeitsmarkt oder Erweiterung der Handlungskompetenzen der Betroffenen?“

Petra Endl
leitet die Unternehmenskommunikation von abz*austria.
abz*austria bietet Qualifizierungen, Beratung, Orientierung, Kompetenzerfassung und Empowerment für Frauen – und in bestimmten Bereichen auch für Männer – an.
Zusammenarbeit mit Unternehmen für Struktur- und Wertewandel. Weitere Schwerpunkte:Basisbildung für Erwachsene und im Auftrag des ams Wien Durchführung des Kompetenzchecks für farsi- und arabischsprechende Frauen aus Afghanistan, dem Iran und Syrien.
Links:
http://blog.arbeit-wirtschaft.at/arbeitszeitflexibilisierung-zukunftsvision-oder-rueckschritt
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