Selbstverwaltete griechische Seifenmanufaktur VIO.ME feierte sechsten Geburtstag.
Lokalaugenschein bei der selbstverwalteten griechischen Seifenmanufaktur VIO.ME, die ihren sechsten Geburtstag feierte, und in einem Land, das in einer tiefen sozialen Krise steckt – Griechenland. Die Zahlen muten erschreckend an: Seit dem Beginn der griechischen Staatsschuldenkrise im Jahr 2010 gingen durch die massiven Sparmaßnahmen die Renten um etwa 70 Prozent zurück, die Jugendarbeitslosigkeit erreichte zeitweilig einen Wert von fast 50 Prozent und unzählige StaatsbürgerInnen wanderten aus. Viele Griechinnen und Griechen allerdings wollten nicht untätig bleiben und suchten nach neuen Wegen, um sich zumindest selbst aus der Krise heraus zu helfen.
So erlebte in den vergangenen neun Jahren die kollektive Selbstverwaltung in Griechenland geradezu einen Boom. Über 8000 Kooperativen sollen sich in dieser kurzen Zeit neu gegründet haben. Freilich handelt es sich dabei zu einem guten Teil um kleine landwirtschaftliche Betriebe, die beispielsweise Olivenöl oder Orangen produzieren, aber auch Schulen und Zeitungen gingen notgedrungen zur Selbstverwaltung über, nachdem die ursprünglichen Eigentümer schließen wollten.
Zu einiger Berühmtheit brachte es dabei die in Thessaloniki ansässige Seifenmanufaktur VIO.ME. Ursprünglich produzierte der Betrieb für den Konzern Filkeram-Johns Fliesenkleber, doch schlitterte Filkeram bereits 2009 allmählich in den Konkurs. »Eines Tages standen wir dann ohne Vorwarnung vor verschlossenen Türen. Manche von uns hatten bereits eineinhalb Jahre kein Gehalt mehr bekommen.«, erklärt Nicole, eine Arbeiterin bei VIO.ME. Aus ihrer Verzweiflung heraus gründeten die Arbeitenden eine Solidaritätsinitiative, der sich etliche solidarische Einzelpersonen und auch zivilgesellschaftliche Organisationen in Thessaloniki anschlossen. Gemeinsam berieten sie darüber, wie man mit der Situation umgehen solle. »Wir entwickelten die Idee, dass wir doch einfach in die Fabrik gehen und dort Seife herstellen könnten. Das Know-How dafür hatten wir ja und brauchen kann Seifen ein jeder Mensch«, schildert die studierte Chemikerin, die auch für die Rezepturen der Seifen verantwortlich ist. Die Idee ging auf und so bietet VIO.ME heute 24 Personen ein geregeltes Einkommen und die verschiedenen Seifen und Reinigungsprodukte werden in ganz Europa von solidarischen Organisationen verkauft. In Wien beispielsweise kann man die Seifen von der Libreria Utopia und von Attac beziehen.
Selbstorganisation
Doch nicht nur für die Seifen, auch für die Art der Organisation selbst interessieren sich inzwischen immer mehr Personen. »Einen Chef haben wir hier nicht, denn wir wollen Hierarchien – so gut es geht – vermeiden. Jeden Tag um sieben in der Früh treffen wir uns und besprechen, was heute zu tun sein wird und welche Anfragen per Mail oder am Telefon hereingekommen sind. Größere Entscheidungen werden in mehrstündigen Meetings alle paar Wochen getroffen und in der Aufgabenverteilung wechseln wir uns nach den Fähigkeiten der einzelnen Personen regelmäßig ab. Klar kann ein Kollege, der kein Englisch spricht, nicht wie ich am Computer sitzen und die Mails beantworten und ich kann dafür kaum die schweren Maschinen herumschieben, aber trotzdem versuchen wir – so gut es geht – mit der Aufgabenverteilung zu rotieren«, erklärt sie weiter. Die Arbeitenden von VIO.ME sehen sich als Team, als Kollektiv, und sind bestrebt, so gut als möglich den Fähigkeiten aber auch Bedürfnissen jeder Einzelperson Rechnung zu tragen. »Bezahlt werden wir alle nach demselben Stundensatz und jede Person bemüht sich, auch dasselbe Zeitpensum in die Arbeit zu investieren. Brauche ich dann mal Urlaub, teile ich das meinen KollegInnen einfach mit und in der Regel passt es auch. Natürlich bemühen wir uns aber alle, niemals mehr als eine Woche weg zu sein, denn bei 24 Personen ist jede Hand wichtig. Sollte es dann doch Differenzen geben, dann diskutieren wir es eben aus und versuchen alles – so gut es halt geht – einstimmig zu beschließen.
Solidarität
Klar ist für uns aber, dass wir uns alle solidarisch in allen Lebenslagen gegenseitig helfen und dementsprechend auch versuchen, die Arbeitsbedingungen zu gestalten.« Die Rohprodukte wie beispielsweise Olivenöl oder Essig übrigens erwirbt man nach Möglichkeit von regionalen Kooperativen, anstatt von weltumspannenden Konzernen. »Wir sind Mitglied mehrerer Netzwerke für Kooperativen in Thessaloniki und in ganz Griechenland. Von diesen Kooperativen versuchen wir so viele Rohprodukte wie möglich direkt zu beziehen. Denn das Olivenöl von dort zum Beispiel ist regional, biologisch angebaut und das Geld geht direkt zu den Leuten, die es produzieren, anstatt, dass es einfach irgendwo versickert. So helfen und stärken wir uns alle gegenseitig und versuchen uns auch – so gut es eben geht – von den großen Ketten von Produzenten, Zwischenhändlern und Supermärkten unabhängig zu machen«, erklärt Nicole, während sie noch darauf hinweist, dass man im letzten Jahr auf dem Fabriksgelände sogar ein dreitägiges Kooperativen-Festival veranstaltete. Besonders stolz sind die Arbeitenden von VIO.ME übrigens darauf, wie sie mit ihrem Profit umgehen. »Für Notzeiten sparen wir einen kleinen Teil des Gewinns natürlich auf, aber der Großteil wird in soziale Projekte investiert. Natürlich könnten wir uns auch einfach selbst den erwirtschafteten Mehrwert ausschütten, aber wir fanden das nicht richtig, dass wir uns immer mehr und mehr bereichern und einfach nichts zurückgeben. Deshalb investieren wir in lokale soziale Projekte und geben die Solidarität, die wir von den Leuten hier erfahren haben, auch wieder zurück.« Zu diesen unterstützten oder sogar gänzlich finanzierten Projekten zählt zum Beispiel eine Sozialklinik auf dem Fabriksgelände. Regelmäßig kommen Ärzte zu VIO.ME und bieten kranken Menschen eine Behandlung, die sie sich sonst nicht leisten könnten. Nebst AllgemeinmedizinerInnen sind für das Projekt auch PsychologInnen vor Ort, die einen ganzheitlichen Behandlungsansatz ermöglichen sollen. Auch eine solidarisch und gemeinschaftlich bewirtschaftete Bäckerei ist für die nahe Zukunft angedacht und gemeinsam mit Studierendengruppen befindet man sich im Gespräch, wie man dem immer stärker werdenden Drogenkonsum auf den Universitäten Thessalonikis entgegenwirken kann. Aber freilich gehört zu jeder Erfolgsgeschichte auch ein Wermutstropfen.
Nutzung statt Eigentum
Probleme damit, dass sie mit dem Produktionsstart den stillgelegten Betrieb ja faktisch besetzen würden, sahen sie zunächst nicht, aber die ursprünglichen Eigentümer waren naturgemäß wenig erfreut darüber. »Die Eigentümerfamilie hat mehrfach damit gedroht, uns hinauswerfen zu lassen und das Gelände zu versteigern. Tatsächlich kamen auch bereits Gerichtsvollzieher und haben einen Teil unserer Maschinen verkauft, weshalb wir uns inzwischen damit abwechseln, die Fabrik rund um die Uhr zu bewachen. Einige der Maschinen haben wir dann übrigens auch gleich selbst günstig erstanden, denn ohne sie konnten wir nicht produzieren.« Das Gelände, das inzwischen zwei Mal erfolglos zur Versteigerung angeboten wurde, wollen sie jedoch nicht erwerben. »Zuerst wollten sie 30 Millionen Euro für das Fabriksgelände und bei der zweiten Versteigerung 15 Millionen. Gefunden haben sie niemanden und wir sind auch nicht dazu bereit. Einerseits schulden uns die ursprünglichen Eigentümer etwa zwei Millionen Euro – unter anderem wegen nicht ausgezahlter Löhne – , andererseits erwarten wir von der Syriza-Regierung, dass sie ihr Versprechen, das sie uns vor dem Regierungsantritt gab, einlöst, und uns die Fabrik für mehrere Jahre zur Nutzung überlässt«, berichtet Nicole, welche allerdings sichtlich angespannt über die stagnierende Situation wirkt, die wie ein Damoklesschwert über dem Projekt schwebt.
Entmutigen oder gar vertreiben ließen sich die Arbeitenden von VIO.ME von der unsicheren Lage indes bisher nicht. Und so begingen sie Ende Februar 2019 das Jubiläum ihres sechsjährigen Bestehens mit einer großen Feier, bei der sie mit Live-Musik, Speisen und Getränken sich und ihre UnterstützerInnen auch gleich auf viele weitere Jahre einschworen.
Dieser Text entstand im Rahmen einer Recherchereise für das Buchprojekt „Selber tun! Ein Blick hinter die Kulissen selbstverwalteter Projekte in Europa“, das 2020 beim guernica Verlag in Linz erscheinen soll.
Tipp
ksoe-Lehrgang Solidarisch Wirtschaften, ab 16. Mai 2019, Infos und Anmelden>
Autor

Christian Kaserer
Studium der Germanistik in Salzburg und Wien. Lebt und arbeitet als Journalist in Wien.